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Das böse Auge

Das böse Auge

Titel: Das böse Auge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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anderen, nahm er den Weg über den Gang zur Treppe, durch die Halle und hinaus auf den Burghof.
    Die Ungeheuer an ihren Ketten rissen ihre Mäuler auf, knurrten, fauchten und kreischten ihn an. Sie zerrten an den Ketten, gebärdeten sich wie besessen. Nur Handbreiten vor Luxon schlugen ihre schrecklichen Kiefer zusammen.
    Er nahm es nicht einmal wahr.
    Luxon war schon beim Tor und dabei, den schweren Eisenriegel zurückzuschieben, als Dai aus dem Dunkel trat. Sie legte ihre kleine Hand auf seinen Arm. Ihre blinden Augen waren suchend auf ihn gerichtet. Er hörte ihre Stimme, doch sie war fern, als käme sie aus einer anderen Welt.
    »Laß mich«, flüsterte er. »Ich muß…zu ihnen…«
    »Du darfst nicht gehen. Nimm die Hände vom Riegel, Luxon!«
    War dies Dais Stimme – die die von Cyrle?
    Die Rufe der Valunen wurden lauter und noch eindringlicher. Sie waren vor dem Tor. Sie warteten.
    Der Riegel wurde schwerer in seinen Händen, immer schwerer.
    »Luxon!«
    Irgend etwas geschah mit ihm. Irgend etwas gewann Macht über ihn. Irgend etwas überflutete seinen Geist mit Finsternis, ließ ihn in einen bodenlosen Abgrund sinken. Luxon schrie auf und wand sich wie unter den Schlägen einer Peitsche. Er fiel und verlor das Bewußtsein.
    Als er zu sich kam, war Dai bei ihm. Sie reichte ihm einen Trank aus Kräutern, Wurzeln und Ölen. Er schmeckte bitter, doch Dai blickte streng und gab nicht eher Ruhe, bis er den Becher bis zur Neige ausgetrunken hatte.
    »So ist es gut«, sagte sie leise. Erst jetzt sah er die Tränen in ihrem Gesicht. Und für einen Moment war es ihm, als starrte sie ihn durch und durch an, als wären ihre Augen nicht wirklich blind.
    Er war auf dem besten Wege, den Verstand zu verlieren. Vergeblich suchte er sich zu erinnern. Er war dem Rufen der Valunen erlegen, hatte schon die Hand am Riegel gehabt, um das Tor zu öffnen. Aber was war dann gewesen?
    Dai ließ ihm nicht die Zeit, sich darauf zu besinnen. Sie nahm seine Hand und nickte ihm auffordernd zu.
    »Du mußt jetzt mit mir kommen«, sagte sie stockend. »Cyrle ist… Es geht ihr schlechter. Sie sah dich im Burghof und…«
    Weiter brauchte sie gar nicht zu reden. Luxon sprang auf. Für die Dauer einiger Herzschläge wurde ihm wieder schwarz vor Augen. Doch der Schwindel ging vorbei.
    Wenn Dai die Wahrheit sprach, hatte er wirklich keinen Augenblick zu verlieren. Wenn Cyrle sich etwas antat! Wenn sie sich vom Söller stürzte…!
    Dai schrie auf, als er sie auf die Arme nahm und mit ihr auf den Gang hinauslief. Sie heulte und beschimpfte ihn, trommelte mit ihren kleinen Fäusten gegen seine Brust und riß ihn an den Haaren, bis er sie vor der Tür zu Cyrles Schlafgemach absetzte. Sofort rannte sie davon und verschwand weinend in einer Kammer. Unschlüssig blieb er stehen. So hatte er sie noch nie erlebt. Sie gebärdete sich gerade so, als sei ein Dämon in sie gefahren.
    Aber das war jetzt zweitrangig. Er mußte zu Cyrle, bevor sie sich in ihrer Verzweiflung etwas antun konnte.
    Luxon fand sie nicht in ihrem Gemach.
    Er rief nach ihr. Eine Angst, wie er sie in keiner Schlacht, ja selbst im Angesicht der größten Gefahren nicht gekannt hatte, griff nach ihm. Luxon lief auf die kleine Brüstung hinaus und spähte in die Tiefe. Schaudernd wandte er sich ab, als die Augen der Valunen zu ihm herauffunkelten.
    Cyrle stand vor ihm, in einem langen, weißen Gewand und bleich wie der leibhaftige Tod.
    »Wo warst du?« entfuhr es Luxon. »Bei allen Göttern! Wie kannst du mir einen solchen Schrecken einjagen!«
    Sie lachte verstört. Ihre blutleeren Lippen bewegten sich kaum.
    »Ich dir? Mein Prinz, ich mußte mitansehen, wie du zu den Valunen hinauswolltest, und wäre Dai nicht gewesen…«
    Sie hob einen Arm vor die Stirn und tastete nach einem Halt. Luxon war bei ihr und führte sie zum weiten, mit kostbarsten Stoffen bezogenen und nun zerwühlten Bett, über dem sich zwischen vier Säulen ein purpurroter Baldachin spannte.
    »Cyrle«, sagte er eindringlich. »Du hattest von Anfang an recht. Sag mir, was ich tun muß, um die Valunen zu vernichten.«
    Er war erstaunt darüber, wie leicht ihm diese Worte über die Lippen kamen. Und sie waren gesprochen. Es gab kein Zurück mehr für ihn. Er hatte nie eine Wahl gehabt.
    Cyrle aber sah ihn an, als traute sie seinen Worten noch nicht so recht. Erst nach einer Weile entspannten sich ihre Züge, und sie zeigte ein Lächeln der Erleichterung. Aber wieder war da auch das andere, das Luxon schon einmal so

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