Das boese Blut der Donna Luna
Claires Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. Ein unverständlicher Wortschwall brach aus ihr heraus. Es war offensichtlich, dass es sich um Beschimpfungen handelte. Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, wartete Nelly ab, bis sie geendet hatte.
»Äußerst schmeichelhaft, vielen Dank. Wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen, Madame. Wir wollen herausfinden, wer es gewesen ist. Ihre Empfindlichkeiten interessieren uns dabei nicht.«
Die Frau hatte sich inzwischen wieder gefasst. Mit einer gemessenen Geste zog sie den Ausschnitt ihres langen Gewandes zurecht. Der Zorn war genauso schnell aus ihrem Gesicht gewichen, wie er gekommen war. Ihre ausladende Brust hob und senkte sich rasch.
»Ich verstehe. Aber das ist ein Verdacht, der ... Paulette war wirklich meine Nichte. Sie war erst achtzehn Jahre alt. Bei den französischen Ordensbrüdern hatte sie eine gute Erziehung genossen. Sie war voller Hoffnung. Voller Träume. Ich weiß, was Sie von mir denken. Aber es gibt Grenzen. Ich bin ein menschliches Wesen, auch wenn ihr es nicht glaubt. Auch ich bin in der Lage, jemanden zu lieben.«
Die ganze Rückfahrt über verlor die Frau kein Wort mehr. Sie fragte nur, ob sie Paulettes Leichnam wiederbekommen könnte, um ihn würdig zu bestatten. Als sie erfuhr, dass dies momentan nicht möglich sei, protestierte sie nicht. Sie schien sehr weit weg zu sein. Nelly hatte den Eindruck, als wäre nur ihr Körper anwesend. Ihr Geist war Tausende Kilometer weit entfernt. Vielleicht war er in das Dorf zurückgekehrt, wo sie und Paulettes Mutter geboren worden und aufgewachsen waren, um dann zwei sehr unterschiedlichen Schicksalen entgegenzugehen. Nelly empfand eine instinktive Sympathie für die schwarze Matrone, die bestimmt einiges auf dem Kerbholz hatte.
Unterdessen hatte die Hitze die Stadt wieder voll im Griff. Die dünnen Absätze der Frauensandalen hinterließen Löcher im weichen, von der Sonne geschmolzenen Asphalt. Die Schatten der Häuser und Palazzi in den Gassen verhießen trügerische Erleichterung, doch man schwitzte selbst dort und auch, wenn man sich nicht bewegte. Die typischen Gerüche der Altstadt waren stärker denn je, zuweilen unerträglich. Zum Glück gewöhnte man sich nach einer Weile daran. Einen so glühend heißen Sommer hatte es lange nicht gegeben. Das Wasser wurde knapp, und wenn es nicht bald regnete, musste es rationiert werden. Ein trauriges Genueser Sommerritual.
Die drei Polizisten und die Farbige betraten eine Bar an der Piazzetta del Campo, um etwas zu trinken. Claire bestellte einen heißen Minzetee. Die Temperaturen schienen ihr nicht sonderlich viel anzuhaben. Nelly und Marco warfen sich vielsagende Blicke zu, Fattori setzte sich an eines der wenigen Tischchen vor der Bar und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Madame Claire war abwesender denn je. In ihrem Blick lag eine stiere, grimmige Härte. Ein hoch aufgeschossener Senegalese ging an der Bar vorbei, ein echter Riese, ebenfalls in farbenfrohe Landestracht gewandet. Er grüßte Madame ehrerbietig in Wolof. Sie stand auf, ging auf ihn zu und flüsterte ihm rasch etwas ins Ohr. Das Gesicht des Mannes blieb unbewegt, nur die Lider senkten sich kurz und bedeckten die Augen. Nelly, die die Szene beobachtet hatte, nahm an, dass sie ihn über Paulettes Tod informiert hatte. Sie wechselten schnell ein paar Sätze, dann machte der Mann auf dem Absatz kehrt und eilte davon. Mit hartem Blick wandte sich Madame an die drei Polizisten.
»Nun, wollen wir gehen?«
»Sue, Malina«, rief Madame energisch, kaum dass sie die Wohnung betreten hatten. Zwei Mädchen, eine schlank und gut gebaut, die andere rundlicher und draller, erschienen in der Tür, die in die hinteren Zimmer führte. Sie waren westlich gekleidet, wie jedes x-beliebige Mädchen an diesen drückend heißen Sommertagen: Flipflops an den Füßen, farbige Tops und geblümte Miniröcke, die ihre dunkle Haut zur Geltung brachten. Ethnisch anmutende Ketten und Ohrringe, für die Nelly eine Schwäche hatte. Beide trugen das gelockte Haar kurz. Sie lächelten Claire und die Besucher fragend an.
Claire deutete auf den Lederpuff und das Korbsofa, und alle nahmen erwartungsvoll Platz. Ein durchdringender Weihrauchgeruch lag in der Luft, den Nelly beim ersten Besuch nicht wahrgenommen hatte. Claire stellte die beiden Mädchen knapp vor. Die Hübschere war Sue. Malina, die Kräftigere, schien ein paar Jahre älter zu sein.
»Malina, wo bist du gestern Abend mit Paulette
Weitere Kostenlose Bücher