Das boese Blut der Donna Luna
Doch sein Handy war abgeschaltet oder zumindest nicht erreichbar. Nach kurzem Zögern fasste sich Nelly ein Herz.
»Gemma Pieretti und unsere Amanda sind in einem Haus in den Hügeln über der Stadt, mit einem terrassierten Grundstück ringsherum. Auf einer dieser Terrassen steht ein langgestrecktes, niedriges Gebäude, eine Art Hütte oder ein Geräteschuppen, irgend so was. Dorthin hat er sie alle gebracht und ermordet. Und jetzt hält das Dreckschwein Amanda und Gemma aller Wahrscheinlichkeit nach dort gefangen und wartet auf den sogenannten ›schwarzen Mond‹.«
Sie beschrieb ihrem sprachlosen Publikum die Szene, die sie während ihrer Bewusstlosigkeit mit angesehen hatte, hütete sich jedoch, Claire zu erwähnen. Als sie geendet hatte, folgte ein halb verblüfftes, halb alarmiertes Schweigen, die drei Männer zogen die Augenbrauen hoch und tauschten vielsagende Blicke. Die arme Frau, die Hitze, der Zusammenbruch. Doch Nelly war fest entschlossen, sich nicht so leicht abservieren zu lassen.
»Verdammt, ich bin doch die Erste, die bei solchem Kram skeptisch wird! Ich bin nicht verrückt, ich weiß nicht, wie es geschehen ist, aber ich habe wirklich alles gesehen, ich war dort. Und bei dem, was ihr in der Hand habt, könnt ihr doch genauso gut meiner Vision glauben oder was es sonst war, meint ihr nicht? Was habt ihr denn in der Hand, na los, raus mit der Sprache!«
»Nelly, sei doch vernünftig, keiner bezweifelt, dass du diese entsetzliche Szene geträumt hast, und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass sich alles tatsächlich mehr oder weniger so abgespielt hat, warum nicht, aber hast du in deinem Traum vielleicht auch die Adresse dieses Hauses mit Garten gesehen?«
Nelly warf ihm einen halb verzagten, halb wütenden Blick zu.
»Tano, du kannst dich gern ein andermal über mich lustig machen, aber ist dir denn nicht klar, dass wir diesen Ort so schnell wie möglich finden müssen, wenn Amanda und Gemma nicht so enden sollen, wie ich es geträumt habe? So, wie alle anderen geendet sind? Es ist fast sieben Uhr abends, und heute ist Neumond.«
»Na schön, nehmen wir einmal an, du hast ... das zweite Gesicht gehabt, sagt man das so? Wo fangen wir an? Seit heute Morgen sitzen wir hier und brüten vor uns hin, ohne den kleinsten Anhaltspunkt ... Ich mein’s ernst und nehme dich auch nicht auf den Arm, jetzt ist sowieso schon alles egal. Also, denk nach, gab es irgendeinen Hinweis darauf, wo sich das Haus befand?«
»Es liegt in den Hügeln, man konnte unten die Stadt sehen. Als ob es am Righi wäre ... oder in Apparizione, so was in der Art ...«
Nelly ließ mutlos den Kopf sinken, da stürzte Valeria ohne zu klopfen in das Büro. Sie wedelte aufgeregt mit einem Zettel. Manaras Onkel Lucrezio habe ein Haus bei Apparizione, das der Beschreibung entspreche, hier sei die Adresse, allerdings ...
Sie konnte nicht ausreden, da waren sie schon aufgesprungen, Tano hatte ihr den Zettel mit der Adresse aus der Hand gerissen, und in null Komma nichts stand Valeria allein im Zimmer.
»Super, Valeria. Gut gemacht, Valeria, sehr gute Arbeit, Valeria!«, äffte sie laut in das leere Büro hinein. Sie schnaubte wütend. Da riss man sich beide Beine aus, gab alles, und von den großen Herren kam noch nicht einmal ein Dankeschön. In dem Moment streckte Nelly den Kopf noch einmal zur Tür herein, blies ihr einen Luftkuss zu, rief jubelnd: »Du bist großartig, Valeria!« und verschwand wieder. Mit einem zufriedenen Lächeln kehrte Valeria an ihren Platz zurück.
Tano, Marco, Nelly, Tommi und Gerolamo, Giorgio Razzi und Lombardo - zu siebt machten sie sich in zwei Autos auf den Weg über Borgoratti nach Apparizione und hielten nach der gesuchten Adresse Ausschau. Sie hüteten sich vor Sirenen und Blinklicht, die Parole lautete Überraschung. Als sie in der Nähe waren, parkten sie das Auto an der Straße und legten das unbefestigte Wegstück bis zum Gartentor und der Garage des halb hinter Grün versteckten Hauses zu Fuß zurück. Es lag einsam, die anderen wenigen Katen oder Bauernhäuser befanden sich in einiger Entfernung. Ein idealer Ort, um ungesehen und ungestört zu bleiben. Um in aller Seelenruhe sein Ding zu machen. Die Garage war direkt von der Straße aus zugänglich, doch die Tür war abgeschlossen. Blitzschnell knackten sie das Schloss. Darin stand ein weißer Ducato mit einem schwarzen Aufkleber auf der Seite: »Speranza«. Identisch mit dem des ARCI-Clubs. Nur dass sich der Aufkleber mühelos abziehen und
Weitere Kostenlose Bücher