Das boese Blut der Donna Luna
seltsam. Sie schwang die Beine aus dem Bett, wurde vom Tropfschlauch zurückgehalten und merkte, dass sie nicht in ihrem eigenen, sondern in einem Krankenhausbett lag.
Sie versuchte sich zu erklären, wie sie dort hingekommen war. Sie waren bei »Mani amiche« gewesen, hatten Amanda und Avvocato Manara gesucht ... hier riss der Faden ab, oder nein, das Letzte, woran sie sich erinnerte, war Claire in dem dunklen Garten, sie beide im von Kerzenlicht erhellten Raum, in dem ein gesichtsloser Priester sein »Opfer« dargebracht hatte. Bei der Erinnerung weiteten sich ihre Augen vor Angst und ohnmächtigem Grauen. Ihr jäh wechselnder Puls löste bei dem Apparat, an den sie angeschlossen war, ein Piepsen aus, und eine kleine, kräftige und resolut wirkende Krankenschwester kam herein.
»Was ist los? Heute Nacht war alles normal ... was haben wir denn?« Sie lächelte Nelly freundlich an, die sie sofort mit Fragen bombardierte und endlich erfuhr, was tags zuvor geschehen war. Inzwischen schien alles wieder in Ordnung zu sein, Blutdruck und Herzschlag normal, bis jetzt zumindest. Ob sie sich vielleicht aufgeregt habe? Und ob, entgegnete Nelly, sie könne auf keinen Fall hierbleiben, sie habe zu tun. Die Schwester kniff die Lippen zusammen und rauschte ohne eine Antwort hinaus. Nach ein paar Minuten erschien ein Arzt in der Tür.
»Dottoressa Rosso, ich habe gehört, Sie wollen uns schon verlassen? Davon kann ich Ihnen nur abraten. Wir haben Sie gestern mit Ach und Krach wieder zurückgeholt, und um sicherzugehen, dass Sie wieder voll hergestellt sind, müssen Sie ein paar Tage zur Beobachtung hier bleiben.«
»Das ist unmöglich, kommt gar nicht in Frage! Mir geht’s blendend, wo muss ich unterschreiben?«
Die Einwände und Drohungen des Arztes prallten an der Halsstarrigkeit der Kommissarin ab, und eine Stunde später, nachdem sie einen ausgiebigen Imbiss in der Bar gegenüber dem Krankenhaus zu sich genommen und festgestellt hatte, dass es sechs Uhr abends war und sie sich bestens fühlte, betrat Nelly unter der Verblüffung der Anwesenden Tanos Büro. Der Polizeivize, Marco und Gerolamo hatten dagesessen und sich fluchend die Köpfe zerbrochen.
»Nelly, was machst du denn hier? Bist du verrückt geworden? Weißt du eigentlich, was du uns gestern für einen Schrecken eingejagt hast? Die Ärzte meinten ...«
»Es ist mir scheißegal, was die Ärzte meinten, sie haben gute Arbeit geleistet, und jetzt geht’s mir prima, geht mir also nicht auf die Ketten und erzählt mir, was während meines Blackouts passiert ist.«
Jeder Widerstand war zwecklos. Nelly wurde also auf den neuesten Stand gebracht, sie erzählten ihr von dem Mord an Don Silvano und dass man Gemma, Amanda und Manara bisher nicht hatte finden können. Die einzige Neuigkeit des Tages war eine E-Mail, die diese Drecksau an den Direktor des »Secolo« geschickt hatte und die wie folgt lautete:
»Das scheinheilige Schwein von Don Silvano hat für seine Sünden in dieser Welt gebüßt und muss sich nun vor einem höheren Gericht verantworten. Opfer und Erlösung, das ist der Doppelbegriff, der die Hand des Gerechten führt. Bald, sehr bald, wird alles vollbracht sein. In der Nacht des schwarzen Mondes.«
»›Scheinheiliges Schwein‹ ... Und die Kette um seinen Hals, mit der er erwürgt wurde, sieht aus wie die von Flores.« Nelly musterte eingehend das Foto von Don Silvano, das am Tatort gemacht worden war. »Sein Mörder wirft ihm etwas vor, was mit den Frauen im Allgemeinen und mit Flores im Besonderen zu tun hat. Vielleicht war Manara in seiner Eifersucht überzeugt, dass sie etwas mit dem armen Don Silvano hatte, wer weiß? Teufel noch mal, kann das denn sein, dass der verschwindet, ohne die kleinste Spur zu hinterlassen?«
»Die Kette sieht aus wie die von Flores? Wie kommst du denn darauf, Nelly?«
Überrascht und mit gerunzelter Stirn sah Tano sie an.
»Äh ... ähm ... ich glaube, auf dem Foto von ihr und Manara beim Karneval, das wir im ARCI gesehen haben, hatte sie die um, ich bin mir sogar sicher.«
Genau in dem Moment hatte Nelly das Foto wieder vor sich gesehen, und die goldene Kette. Deshalb habe ich davon geträumt. Ich hatte sie auf dem Foto gesehen.
Seit dem Vortag war man sämtlichen Möglichkeiten nachgegangen, doch ohne Erfolg. Palmieri war nicht da, er war wegen einer dringenden Angelegenheit in die Schweiz gerufen worden und würde erst am nächsten Tag wiederkommen, hatte sie aber gebeten, ihn auf dem Laufenden zu halten.
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