Das boese Blut der Donna Luna
Sonntag auf Montag. Der zweite Mord in der Nacht darauf, der des ersten Viertels. Der dritte war in der Nacht des siebten Tages nach dem zweiten Leichenfund begangen worden, eine Nacht vor Vollmond, und der vierte in der Vollmondnacht. Bis hierhin passte alles. Seit einigen Tagen war alles ruhig (kein neuer Fund), der Mond nahm ab und würde bald das letzte Viertel erreichen, das auf einen Montag fiel, genau wie das erste. Plötzlich musste Nelly an das Abendessen mit Tano in Sturla denken, als die Sache gerade losgegangen war. Macht sich der Mond nach Westen krumm, wird er rund, hatte sie beim Anblick der Mondsichel gedacht. Letzte Nacht war er wegen der Wolken nur hin und wieder sichtbar gewesen, aber er war noch da.
Montag ist das letzte Viertel. Und dann? Was, wenn sich dieser verfluchte Irre tatsächlich nach den Mondphasen richtet? Dann müsste er in der Nacht vor dem letzten Viertel und in der Nacht darauf zuschlagen, dann sechs Tage Pause, in der siebten Nacht wieder ein Verbrechen (vor Neumond) und dann in der Neumondnacht selbst. Du lieber Gott, was für ein Gemetzel! Bitte nicht! Und wo? Und wen? Wahrscheinlich wieder arme, wehrlose Mädchen. Ich glaub’s nicht. Ich will’s nicht glauben. Genau dann haben Mau und Monica auch noch Mündliches. O Himmel, was für ein Sommer. Und das Kind ...
Das Wort »Sommer« brachte ihr schlagartig die abermals zunehmende Hitze wieder ins Bewusstsein, und sie bemerkte, dass sie kurz davor war umzukippen. Ich hab noch nichts gegessen, deshalb fühle ich mich so schlapp. Bei diesem plötzlichen, direkt vom Magen ausgesandten Gedanken sprang Nelly auf und machte sich auf den Weg zu ihrer Lieblingsfriggitoria nach Sottoripa, wild entschlossen, einen riesigen Teller frittelle di baccalà {5} zu verdrücken. Die Kopfschmerzen waren weg. Der dem Besuch bei Claire geschuldete Schock ebenfalls. Es war Zeit, in die Gänge zu kommen.
Pappsatt von dem angesichts der brütenden Hitze und der frühen Tageszeit denkbar unpassenden frittierten Stockfisch stand Nelly eine Stunde später in Tano Espositos Büro, der ausnahmsweise einmal an Frische und Eleganz vermissen ließ. Er hatte die leichte, cremefarbene Leinenjacke ausgezogen, saß in einem blauen Hemd da, das (zufällig?) genau zu seinen Augen passte, und fächelte sich mit einem Aktendeckel Luft zu. Nach einigen Minuten des Schweigens und wechselseitigen Seufzens gab sich Nelly einen Ruck.
»Und? Was ist mit unserem Freund? Ist er sein Geld wert?«
»Unser Freund hat auf mich einen hervorragenden Eindruck gemacht, aber ein Hellseher ist er nicht. Was seine Interpretation der Fundorte anbelangt, so vermutet er – ich kreuze die Finger –, so vermutet er, dass es noch weitere Funde geben wird, sprich, enthauptete Leichen, und zwar paarweise und an Orten, die für den Mörder aus irgendeinem Grund von besonderer Bedeutung sind. Eine Art Schnitzeljagd.«
Es klopfte an der Tür, und Marco kam herein, begleitet von der zum Team gehörenden Inspektorin Amanda Sacco und Chefinspektor Bentivegna. Der Assistent Razzi, der den in seinem geliebten Sizilien urlaubenden und im Grunde unersetzlichen Gerolamo Privitera vertrat, tauchte ebenfalls auf und grüßte.
Amanda war klein und dunkel wie eine Ameise, mit großen, wassergrünen Augen und langen Wimpern. Ihrer zerbrechlichen Erscheinung zum Trotz war sie zäh, hartnäckig und unermüdlich. Schön für sie, sie ist ja auch erst einunddreißig! Nelly begrüßte sie mit einem Lächeln, das schmallippig erwidert wurde. Amanda Sacco war äußerst ehrgeizig, und die offene, direkte Art der Kommissarin vertrug sich nicht mit ihrem verschlossenen, unergründlichen und misstrauischen Wesen. Inspektor Tommaso (Tommi) Bentivegna war so hoch wie breit und an den Schläfen ziemlich kahl. Dafür trug er das Haar im Nacken umso länger. Er war zuverlässig, gründlich und kompetent. Ein Einzelgänger ohne Familie. Seine Fettleibigkeit und die Hitze ließen ihn übermäßig transpirieren, und ein beißender Geruch nach Deo und Schweiß umgab ihn.
Beim Kontakt mit Tommis Ausdünstungen kräuselte sich Tanos aristokratische Nase unmerklich, was Nelly jedoch nicht entging. Dann gebot der Polizeivize seiner Mannschaft, sich zu setzen, und jeder suchte sich einen Stuhl. Das Zimmer war in Halbdunkel getaucht, um die Anwesenden vor der Sonne zu schützen, die gnadenlos auf die Stadt niederbrannte. Die aufmerksamen, angespannten Gesichter glänzten dennoch vor Schweiß. Tanos Stimme
Weitere Kostenlose Bücher