Das boese Blut der Donna Luna
Handgelenken und Fußknöcheln gefesselt und geknebelt, waren an einen unbekannten Ort gebracht worden, an dem es jedoch – und das war an allen vier Leichen festgestellt worden – den für die Berge rund um die Stadt typischen Erdboden gab. Man hatte sie durch die Injektion eines Muskelrelaxans’ ruhiggestellt und bei Bewusstsein mit einer – dem Schnitt nach zu urteilen – Guillotine oder einer ähnlichen äußerst scharfen Klinge enthauptet. Bei lebendigem Leib. Dann waren die Körper, so gut es ging, gesäubert und mit einem Transportmittel, möglicherweise einem Lieferwagen, an die Fundorte gebracht worden, wo man sie sorgfältig abgelegt und in Positur gebracht hatte. Ohne Hohn, ohne Hass. Wie bei einem Ritual. In diesem Punkt war Palmieri entschieden gewesen. Entgegen den ersten Annahmen schien der Mörder seinen Opfern nicht mit Verachtung zu begegnen – von der Enthauptung einmal abgesehen.
Nelly sah die letzten Augenblicke dieser armen Mädchen vor sich, die bei Bewusstsein und sich bewusst waren, dass das Ende nahte. Sie konnte ihre Todesangst fast körperlich spüren und erschauerte. Wie kann ein Mensch einem anderen Menschen so etwas antun? Seufzend schreckte die Kommissarin aus ihren düsteren Phantasien auf, als die anderen begannen aufzustehen und sich zu verabschieden.
Nelly blieb mit Marco und Tano in dessen Büro zurück. Polizeichef Volponi rief an, und Tano ging widerwillig ans Telefon. Mit einem freundlichen Winken machten sich Nelly und Marco hastig aus dem Staub. Valeria bot an, ihnen einen Kaffee zu bringen. Beide nahmen dankend an, und als sich Marco davonschleichen wollte, hielt Nelly ihn zurück.
»Wohin so eilig, Marco? Wollen wir unseren Kaffee nicht in meinem Büro trinken?«
»Na schön, Nelly. Ich bin gerade nur ein bisschen ... neben der Kappe.«
»Das habe ich gemerkt. Liegt’s an der Hitze, am Fall, oder ist da noch was anderes?«
Die beiden setzten sich in Nellys Büro, das sehr viel kleiner war als Tanos. Marcos schlechte Stimmung der letzten Tage war nicht zu übersehen gewesen, und Nelly, die ihn gut gelaunt, positiv und als wahre Energiespritze kannte, war ihrer weiblichen Natur entsprechend verwundert und neugierig. Die Frage traf ins Schwarze, und Marco, der auf der anderen Seite ihres Schreibtisches saß und bisher zu Boden gesehen hatte, blickte sie an, entschlossen, sich das Herz zu erleichtern.
»Diese Verbrechen treiben mir das Blut in die Schläfen, und nicht zu wissen, wo man ansetzen oder wie man sie verhindern soll, macht mich rasend. Aber da ist noch etwas anderes. Luciana und ich haben uns getrennt.«
Luciana und Marco waren seit zehn Jahren zusammen. Sie war eine schöne, besitzergreifende und leicht überdrehte Frau, die wegen des gefährlichen Jobs ihres Lebensgefährten ständig in Sorge war. Doch ihre Beziehung schien inzwischen unerschütterlich.
»Oha! Damit hätte ich nicht gerechnet. Luciana vergöttert dich, Marco.«
»So, wie es aussieht, war das einmal. Jetzt verabscheut sie mich und hat mir jeglichen Kontakt mit ihr untersagt. Schluss, aus, Ende. Zehn Jahr für die Katz.«
»Ist denn da das letzte Wort schon gesprochen?«
»Was weiß ich.«
»Wann ist sie gegangen?«
»Von wegen gegangen, sie hat mich rausgeschmissen. Sie hat gemeint, nach zehn Jahren stehe die Wohnung ihr zu, und im Grunde kann ich ihr nicht widersprechen.«
Es folgte ein beklommenes Schweigen. Nelly wollte nicht indiskret erscheinen und nach den Ursachen für diesen plötzlichen Wandel fragen – wenn er denn überhaupt plötzlich war. Marco war unsicher, ob er weiterreden sollte oder nicht, doch dann war der Wunsch, sich zu öffnen und mit jemandem zu reden, stärker als seine Zurückhaltung.
»Luciana wollte ein Kind, und ich nicht.«
Ach du liebes bisschen, da war es schon wieder, das Problem, das Mau und damit auch sie umtrieb.
»Nach zehn Jahren erscheint es mir nicht so abwegig, dass eine Frau von ihrem Mann ein Kind möchte«, sondierte Nelly vorsichtig das Terrain.
»Nelly, du bist in dieser Scheißwelt genauso unterwegs wie ich, jeden Tag hast du’s mit unfassbaren Abscheulichkeiten zu tun. Findest du es da richtig, noch eine arme Kreatur in diese Müllhalde zu setzen?«
Eine existentielle Frage. Wie sollte sie mit einem Satz darauf antworten, wenn dazu kaum eine philosophische Abhandlung gereicht hätte?
»Na ja, ich habe ein Kind in die Welt gesetzt, das darüber hoffentlich nicht allzu traurig ist. Und du, Marco, immer optimistisch,
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