Das boese Blut der Donna Luna
voller Biss, Energie und Tatendrang, wärst du lieber nicht geboren worden? Hätten unsere Eltern so gedacht wie du, säßen wir jetzt nicht hier und würden uns unterhalten. Und sag mir nicht, dass die Welt schlechter geworden ist; seit jeher behaupten die Menschen, früher wäre alles besser gewesen. Wann denn früher? Probleme hat es immer gegeben. Habt ihr in den letzten zehn Jahren denn nie darüber gesprochen, ob ihr ein Kind haben wollt oder nicht? Wart ihr euch da nicht einig?«
Marco rutschte schnaubend auf seinem Stuhl hin und her, schließlich stieß er einen Seufzer aus.
»Nein, zum Geier!, nein, darüber haben wir nie gesprochen. Ich dachte, ich wäre ihr genug, und sie dachte, früher oder später würden wir schon ein Kind kriegen. Totales Missverständnis, kolossale Fehlkommunikation. Jetzt ist die Blase geplatzt, und sie wirft mir vor, ich hätte ihr zehn Jahre ihres Lebens gestohlen, ihr die ganze Zeit was vorgemacht. Jetzt hasst sie mich.«
»Und du? Bist du bereit, auf sie zu verzichten?«
Marco ließ sich gegen die Rückenlehne fallen, sah an die Decke und presste die Lippen zusammen, um seine Gefühle im Zaum zu halten.
»Das ist waschechte Erpressung, nichts anderes. Nein, ich bin nicht bereit, auf sie zu verzichten, aber ich bin auch nicht bereit, gleich wie ein Hündchen bei Fuß zu sein. Ich bin verwirrt, sauer, total durcheinander. Ein Kind ... Ich weiß noch nicht mal, was das ist, ein Kind. Nie mehr Urlaub in den Tropen, nie mehr Ausgehen mit Freunden, und dann diese ständige Angst, dass ihm was passiert. Vielleicht ist es auch noch ’ne Nervensäge oder ich finde es blöd. Ich kann’s jetzt schon nicht ausstehen. Da weiß man noch nicht mal, ob’s überhaupt geboren wird, und schon macht es einem das Leben zur Hölle.«
Fast hätte Nelly angesichts dieser verzweifelten Tirade laut losgelacht, aber sie wollte ihren Kollegen nicht verletzen. Sie ließ ihn zu Atem kommen.
»Wie alt bist du, Marco?«
»Achtunddreißig, wie Luciana, das weißt du doch.«
»Du kannst deine Meinung auch noch in zwanzig Jahren ändern. Sie nicht. Wenn du sie liebst, denk darüber nach. Und wirf die Scheißwelt und den Urlaub in den Tropen nicht in einen Topf. Das ist nicht in Ordnung.«
»Vielleicht hast du recht. Luciana und ich sollten darüber reden, wenn wir uns ein bisschen beruhigt haben. Aber im Augenblick steht meine Welt kopf. Alles lief so gut, alles lief so glatt. Findest du auch, dass ich ein gemeiner Egoist bin?«
»Nein. Aber ich glaube, dass du selbst nicht genau weißt, wieso du bei der Vorstellung, ein Kind zu haben, so drastisch reagierst. Meiner Erfahrung nach verändert ein Kind deine Wahrnehmung, es befreit dich davon, ständig im Mittelpunkt des Universums zu stehen und manisch um dich selbst zu kreisen, auch wenn das vielleicht nicht für jeden gilt. Man hört auf, immer nur an sich selbst zu denken. Vom Kind, das man war, wechselt man in die Rolle der Eltern, man versteht sie besser, man wird erwachsener. Für mich eine unersetzliche Erfahrung. Aber das muss natürlich jeder selbst entscheiden. Wie er will und wie er kann.«
»Mit dir kann man wenigstens vernünftig reden, Nelly. Du hättest sie sehen sollen, sie hat getobt. Wir haben uns grauenhafte Dinge an den Kopf geworfen. Als hätten wir uns nie geliebt, schierer Hass.«
»Aber jetzt tut es dir leid, und ihr vielleicht auch. Und außerdem stecke ich selbst nicht drin. Ich bin nicht diejenige, der du ein Kind verwehrst. Und das nach zehn Jahren Zusammensein.«
»Hmmpf... grmmpf...«
Grummelnd erhob sich Marco und verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken, als Valeria mit zwei Tassen Kaffee in der Hand hereinkam. Sie sah ihn verdattert an. Nelly lächelte.
»Lass ihn, Valeria, setz dich, dann trinken eben wir beide den Kaffee.«
Tano Esposito und Nelly kehrten von einer Unterredung mit Laurenti zurück, den sie von Palmieris Eindrücken an den Fundorten und dem Stand der Ermittlungen in Kenntnis gesetzt hatten. Schweigend saßen sie in einem Café in der Via XX Settembre und rührten in ihrem Cappuccino herum. Es war noch immer heiß, aber weniger feucht, und man konnte besser atmen als in den Tagen zuvor.
Laurenti gab sich gern sportlich und demokratisch und legte einen jovialen und freundschaftlichen Ton an den Tag. Doch im Grunde hielt Nelly ihn für einen oberflächlichen Ehrgeizling, der sich nicht allzu viele Skrupel machte. Palmieri kennengelernt und mit ihm in Boccadasse gegessen zu haben hatte
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