Das boese Blut der Donna Luna
Leben. Aber Sie haben eine so direkte Art, und ich ... ich bin es nun mal gewohnt, die Fäden in der Hand zu haben. Ein Narziss, wie Sie bereits bemerkt haben werden, aber eben nicht ganz ohne Selbstkritik. Verzeihen Sie mir?«
Er war ein wenig außer Atem, und die dichte Mähne hing ihm wirr ins Gesicht. Das Ganze schien ihm äußerst peinlich zu sein.
»Vergessen wir das persönliche Intermezzo, Alessandro. Reden wir über unseren Simba.« Uups ...
»Simba?«
Sofort tat es Nelly leid, dass ihr der Spitzname herausgerutscht war, den sie dem Mörder gegeben hatte, doch zu spät.
»Oh«, sagte sie obenhin, »ich nenne ihn so, Simba, den Löwen. Diese Raubtiere können einem mit ihren Zähnen und Klauen mühelos den Kopf abreißen, und außerdem stammten zwei der Opfer aus Afrika. Daher vielleicht das Bild.«
»Genial, einfach genial. Dass bloß die Presse keinen Wind davon bekommt, die würden sich darauf stürzen. Aber, meine Liebe, in der Tierwelt gehen für gewöhnlich die Weibchen auf die Jagd.«
»Tagsüber, in freier Wildbahn. Und das Männchen liegt gähnend im Schatten und döst. Ich hab an den einen oder anderen vielleicht nicht allzu realistischen Film gedacht, wo ein oder mehrere Männchen durchdrehen, nachdem sie Menschenblut geleckt haben, und nachts um die Dörfer streichen, um sich irgendeinen armen Menschen zu schnappen. Wir sind dermaßen durch Filme und Bücher verdorben, dass wir uns eine Phantasiewelt aus zweiter und dritter Hand konstruieren, die ein Teil unserer Wirklichkeit wird, ganz egal, ob die verwursteten Informationen wahr oder falsch sind.«
»Genial: Simba!«
Er schien völlig verzückt zu sein. Nelly zog irritiert die Augenbraue hoch. Er wirkte wie ein Zwölfjähriger mit einer Schwäche für Abenteuergeschichten.
»Realität und Phantasie hin oder her, der Name ist perfekt. Wirklich perfekt. In gewissem Sinne psychologisch perfekt. Auch Simba ist vielleicht ein verstoßener, traumatisierter Löwe. Verlassen. Rachedurstig. Wie unser unbekannter Mörder.«
Nelly durchschoss ein Gedanke, und sie fragte ihn, ob ihm Fälle mit einem ähnlichen oder gleichen Modus operandi untergekommen seien. Alessandro schwieg einen Augenblick nachdenklich und sagte dann, das Gedächtnis würde ihm manchmal Streiche spielen. Er meinte, etwas Ähnlichem begegnet zu sein, könne sich jedoch nicht mehr erinnern, wann und wo. Er müsse sich informieren. Dann wechselte er das Thema, und sie redeten darüber, wie man Simba aus der Deckung locken könne. Er wiederholte den Namen, als zerginge er ihm wie Puderzucker auf der Zunge. Vielleicht mit Hilfe der Journalistin, die diesen Artikel über ihn veröffentlicht hatte. Bei dieser Gelegenheit hätte Nelly ihn fragen können, ob er sich zu dem geforderten Interview mit Gemma bereit erklären würde, doch etwas – sie hätte nicht sagen können, was – hielt sie davon ab.
Es war spät geworden, schon fast ein Uhr. Sie stiegen ins Auto und fuhren schweigend in die Stadt zurück. Der Abschied war noch immer lauernd und argwöhnisch, aber sehr viel friedlicher. Von Sympathie kann man hier wirklich nicht sprechen, aber zumindest lässt es sich auf diesem Level irgendwie zusammenarbeiten. Nachdem sie sich von ihm verabschiedet hatte, ging Nelly zu Fuß zur Piazzetta, an der ihr Haus lag. Wenn der Armleuchter wissen wollte, wo sie wohnte, sollte er das gefälligst selbst herausfinden.
Nelly fuhr erschrocken zusammen, als sie neben ihrer Haustür einen dunklen Schatten gewahrte. Er war deutlich kleiner als der in Sant’Apollinare. Sie griff in die Tasche und tastete nach der Pistole, die sie immer bei sich trug, doch der Schatten löste sich aus dem Dunkel und trat auf sie zu.
»Bitte erschießen Sie mich nicht, Dottoressa. Ich bin’s nur.«
»Gerolamo, verdammt, willst du mich zu Tode erschrecken, oder was? Was machst du hier um diese Zeit?«
»Ich bin ziemlich spät gelandet und wollte Sie so schnell wie möglich sprechen, Sie aber nicht auf dem Handy stören. Also habe ich hier auf Sie gewartet, und die Zeit ist wie im Fluge vergangen.«
»Gerolamo, ich bin ja so froh, dich zu sehen! Das ist eine dermaßen üble Geschichte, es ist zum Verrücktwerden! Vor allem die ständige Furcht, dieses Dreckschwein könnte weiter morden. Unser Profiler sagt ...«
»Wenn Sie mich hereinbitten würden, könnten wir besser reden.«
»Komm, komm rauf, ich bin sowieso nicht mehr müde, ich war’s auch gar nicht. Ich habe einen ... beunruhigenden Abend
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