Das boese Blut der Donna Luna
beugte er sich zu ihr herüber, zu weit, für ihren Geschmack: Er drang in ihr Gebiet ein.
»Es ist nicht fair, dass Sie mich erforschen – schließlich bin nicht ich diejenige, von der sie ein Profil erstellen sollen –, während ich keinen blassen Schimmer habe, wer Sie wirklich sind. Aber da ich schon wie eine Schülerin vor dem Lehrer sitze, wollen Sie mir nicht ein paar Tricks verraten? Mir einen Fingerzeig geben? Dieses Abendessen beispielsweise, war das nur nach meinem Geschmack oder auch nach Ihrem, Alessandro?«
»Ich bin ein schwieriger Mann, liebe Nelly. Kompliziert. Aber es lohnt sich nicht, mich verstehen zu wollen, hinter diesem nebulösen Vorhang verbirgt sich nichts, was sonderlich interessant wäre. Im Grunde bin ich ziemlich langweilig. Und traurig obendrein. Wie mein Vater, auch wenn mir das nicht gefällt. Ich will ihm nicht ähnlich sein, doch am genetischen Erbe lässt sich nun mal nicht rütteln. Was das Essen anbelangt, so esse ich gern wenig, doch stets anders, abwechslungsreich, raffiniert, es macht mir Spaß, herauszufinden, was sich hinter einem gut zubereiteten Gericht verbirgt. Ich bin nicht nur langweilig, sondern auch sehr schnell gelangweilt. Auf allen Gebieten.«
»Das genaue Gegenteil von mir also. Das hatte ich mir schon gedacht. Und auch, dass Sie mich nicht besonders leiden können. Doch auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, frage ich Sie noch einmal: Jetzt, wo das geklärt wäre, wozu diese Einladung, Alessandro?«
Palmieri hatte sich noch weiter zu Nelly hinübergebeugt, die auf ihrem Stuhl immer mehr nach hinten gerutscht war. Seine Augen ließen sie nicht los, und sie fühlte sich immer unwohler. Er schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass ich Sie nicht leiden könnte. Ich schätze Sie sehr, auch wenn Sie nicht der Typ Frau sind, der mich persönlich anspricht. Sie haben einen sehr harten Kern, eine unglaubliche Kraft. Sie sind so undifferenziert, dass mir ganz schwindelig wird. Das mag daran liegen, dass ich ständig mit instabilen, vielschichtigen und verletzlichen Menschen zu tun habe. Sie hingegen sind ... monolithisch.«
»Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment nehmen soll. Und ich weiß auch nicht, ob ich so bin, wie Sie sagen, kulinarische Vorlieben mal beiseite. Da haben Sie voll ins Schwarze getroffen. Was den Rest betrifft, muss ich Ihnen sagen, dass ich nicht genau weiß, wie ich bin, obwohl ich schon seit Jahren mit mir zusammenlebe. Aber ich denke«, sie stützte die Ellenbogen auf und beugte sich vor, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von Palmieris entfernt war, »dass ich Sie vor allem als Ermittlerin interessiere. Habe ich recht?«
»Absolut. Wir arbeiten zusammen an einem Fall, da interessiert es mich logischerweise, mit wem ich zu tun habe.«
»Na, und warum haben Sie dann beispielsweise Dottor Esposito heute Abend nicht eingeladen? Er ist ein verdammt interessanter Mann.«
Kaum war der Satz heraus, wusste Nelly, dass sie einen Fehler gemacht hatte, und bekam postwendend die Bestätigung.
»Mir ist klar, dass Dottor Esposito ein faszinierender Typ ist, der Sie sehr interessiert, und Sie ihn, wenn ich das sagen darf. Sie beide gäben ein hübsches Paar ab, und ich habe mich manches Mal gefragt, ob Sie nicht vielleicht schon eines sind.«
»Neugierig, unser Profiler.« Nelly versuchte die Kontrolle über eine Unterhaltung zurückzugewinnen, die in die falsche Richtung abzugleiten drohte. Um dem Schlangenblick ihres Gegenübers einen Moment lang zu entfliehen, kramte sie in ihrer Tasche nach einer Zigarette. »Vielleicht sind wir’s, vielleicht nicht, wer weiß. Und da Sie mir bestätigt haben, dass ich nicht Ihr Typ bin, wer ist denn Ihr Typ? Vielfältig und raffiniert wie das Essen? Geheimnisvoll und anlehnungsbedürftig? Oder vielleicht eine knackige junge Kollegin? Übrigens, Alessandro, wo wir schon beim Privaten sind: Sind Sie verheiratet? Leben Sie mit jemandem zusammen? Sind sie hetero? Sind Sie schwul?«
Nelly hatte einfach drauflosgeschossen und hob den Blick, um seine Reaktion zu sehen. Ein Zucken huschte über das vom flackernden Kerzenschein beleuchtete Gesicht, ein leises Schaudern. Getroffen, getroffen!, freute sie sich böse. Palmieri brauchte ein paar Sekunden, um sich zu fangen. Sogleich verschwand das Chaos wieder hinter der Maske.
»Nachdem ich selbst damit angefangen habe, kann ich mich schlecht hinter der Privacy verkriechen. Nein, ich bin nicht schwul. Auch auf spiritueller
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