Das boese Blut der Donna Luna
Dottor Manara?«
»Ich bin ein wenig durch die Gassen gebummelt, auf der Suche nach ein bisschen Abkühlung, aber ohne Erfolg.«
»Und wie haben Sie den Abend verbracht?«
»Zu Hause, zuerst auf der Terrasse und dann im Bett. Ich führe ein sehr ruhiges Leben, Dottoressa. Mein Vater und mein Onkel können Ihnen alles bestätigen. Wir wohnen zusammen an der Salita Santa Caterina in einem alten Palazzo, dort, wo früher das Goethe-Institut war, wissen Sie?«
»Ja, natürlich, da habe ich vor Jahren mal einen Deutschkurs gemacht.«
»Wir sind alle in dieser Wohnung geboren worden, meine Brüder Ambrogio und Valente und ich, ich bin der Jüngste. Ambrogio und Valente haben geheiratet und sind weggezogen und ich bin bei meinen Eltern und meinem Onkel Lucrezio geblieben.«
Das Pferdegesicht wurde traurig, der Blick leer.
»Vor einem Jahr ist meine Mutter gestorben. Eine Tragödie. Ein wunderbarer Mensch, einzigartig. Ich ... bin fast depressiv geworden. Die Arbeit hier hat mich davor bewahrt.«
»Das verstehe ich, es ist schrecklich, wenn die Eltern uns verlassen. Wie alt war denn Ihre Mutter?«
»Fünfundachtzig, wie mein Vater. Mein Onkel ist jünger, er ist erst achtzig. Papas Bruder, wissen Sie. Er hat über dreißig Jahre an der Uni gelehrt. Er ist ein hervorragender Gräzist.«
Nelly versuchte sich das Leben dieses Mannes unter einem Dach mit drei alten Leuten vorzustellen, doch die erdrückende Klaustrophobie, die sie dabei überkam, ließ sie den Gedanken sofort weit von sich schieben.
»Das verstehe ich«, sagte sie noch einmal, obwohl sie weit davon entfernt war. »Gut, Dottor Manara, ich zähle also auf ihre Mitarbeit. In den nächsten Tagen werden ich oder meine Kollegen wieder bei Ihnen vorbeischauen.«
»Sie sind immer willkommen, Dottoressa. Ich hoffe jedoch sehr, dass ihre Ermittlungen unserer Arbeit nicht schaden, sie ist ohnehin schon schwer genug.«
Nelly nickte abwesend und erhob sich. Der Anwalt brachte sie förmlich zur Tür, und Nelly bemerkte, dass sie sich geirrt hatte, dass Federico Manara zwar hager, aber alles andere als schwächlich, sondern zäh und sehnig war. Er überragte sie um rund zehn Zentimeter.
Nelly machte sich auf den Weg ins Büro und konnte es kaum erwarten, Tano und die anderen über die Neuigkeiten des Tages in Kenntnis zu setzen. Als sie das Präsidium betrat, kam ihr Marco Auteri entgegen, und noch ehe sie ihn grüßen konnte, bedeutete er ihr hastig, ihm zum Polizeivize zu folgen.
Verdutzt betrat Nelly Tanos Büro und sah Amanda Sacco in ihrem inzwischen nicht mehr ganz makellosen wassergrünen Kleid vor dem Schreibtisch sitzen. Tano beugte sich mit jener aufmerksamen Miene zu ihr herüber, die Frauenherzen normalerweise höher schlagen ließ, und hörte sich an, was sie ihm mit vor Erregung geröteten Wangen zu berichten hatte. Ihre klaren grünen Augen, die fraglos das Schönste an ihr waren, leuchteten vor Erregung. Als die beiden Neuankömmlinge eintraten, sahen sie auf. Der Gesichtsausdruck des Polizeivizes bekam etwas leicht Gereiztes.
»Ah, Nelly, wo warst du die ganze Zeit? Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber ohne Erfolg.«
O Mist! Nach der Nachricht von Maus Prüfung hatte sie das Handy automatisch und ohne nachzudenken wieder ausgeschaltet. Aber was war das überhaupt für ein Ton? Es ging um ein paar mickerige Stunden, verdammt!
»Entschuldige bitte, aber ich hatte gerade mit einer ziemlich aufschlussreichen Recherche zu tun. Ich hab herausgefunden ...«
»Na gut, Nelly, das kannst du uns später erzählen. Inzwischen hat Amanda« – seit wann Amanda? Tanos Verhalten brachte ihr Blut noch mehr zum Kochen, als es die extremen Temperaturen ohnehin schon taten – »herausgefunden, dass Gianluca Sonni als Klempner auf der Station im Galliera-Krankenhaus gearbeitet hat, auf der das Muskelrelaxans im Umlauf war, und zwar genau in der Zeit, in dem die fraglichen Dosen verschwunden sind. Eine davon haben Auteri und Gerolamo in seiner Wohnung gefunden, stell dir vor. Und wie es aussieht, mit seinen Fingerabdrücken darauf.«
Dramatische Pause, doch Nelly blieb ungerührt. Und? Weiter! Als von ihrer Seite weder Ausrufe des Erstaunens noch Fragen kamen, fuhr der Polizeivize leicht irritiert fort.
»Außer der Packung haben sie auch Sonni gefunden. Tot in der Badewanne, die Pulsadern im heißen Wasser aufgeschnitten wie die alten Römer.«
Nelly hütete sich, ihre Überraschung zu zeigen. Gelassen schlug sie die Beine übereinander,
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