Das boese Blut der Donna Luna
Esposito die Ermittlungen leitete.
Blödmann, als würde die Konkurrenz angesichts solcher Gräueltaten eine Rolle spielen. Doch sie wusste nur zu gut, wie menschlich der Groll des Kollegen war. Verständlich, aber nicht verzeihlich. Das Wichtigste ist doch, dieser Bestie das Handwerk zu legen, oder nicht? Sie sah Laurentis scheinheiliges Gesicht vor sich. Ja, auch für ihn war es wichtig, den Mörder zu stoppen, doch ganz oben auf der Liste stand noch immer seine eigene Person und alles, was ihn ins rechte Licht setzen konnte.
Ach, apropos Laurenti, für den nächsten Morgen war eine Pressekonferenz angesetzt, um die sie allerdings herumzukommen hoffte. Sie riss sich aus ihren Gedanken, sah auf die Uhr, zahlte und machte sich so langsam, wie es die Verdauung und die Hitze geboten, wieder auf den Weg zu »Mani amiche«.
Vor dem leuchtend grün wie die Hoffnung – ›Speranza‹!! – gestrichenen, weit geöffneten Tor wartete noch immer eine lange Schlange von Leuten, die glücklicherweise im Schatten für das kostenlose Mittagessen anstanden. Die Räumlichkeiten reichten nie aus, um alle unterzubringen. Nelly musterte sie im Vorbeigehen. Wie viele Kinder dabei waren, und ihre Eltern sahen nicht alle nach Immigranten aus. Das war die neue Armut, von der die Presse sprach, das waren die, deren Geld nicht bis zum Monatsende reichte und die sich irgendwie durchschlagen mussten. Die versuchten, zu überleben und eine Würde zu bewahren, die die Umstände ihnen verwehrten. Sie bemerkte, dass die Kinder keinen Mucks machten und sich beklommen umblickten, als würden sie sich schämen.
In der Eingangshalle sah sie Giuliano Zanni leise und lebhaft mit einer offenbar verärgerten Frau mittleren Alters diskutieren. Als er Nelly sah, deutete er mit einem Kopfnicken auf eine Tür am Ende des Flurs. Federico Manara war gekommen. Eine Sekunde lang blieb Nelly unschlüssig vor seinem Büro stehen, doch ehe sie anklopfen konnte, sagte eine leise Stimme: »Kommen Sie herein, bitte«, und sie trat ein.
»Ich habe Ihren Schatten durch die Glastür gesehen, Signora. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Sind Sie avvocato Federico Manara?«
»J-ja, das bin ich. Mit wem habe ich die Ehre ...?«
Der Mann war alles andere als alt. Nelly schätzte ihn auf fünfundvierzig bis fünfzig, doch er hatte etwas seltsam Schwächliches, Kränkliches an sich. Oder lag es am Licht, dass das Gesicht mit dem Kinnbärtchen so blass wirkte? Er hatte graumeliertes Haar und kleine Augen, deren Farbe hinter den Brillengläsern nicht auszumachen war. In seinem langen, pferdeähnlichen Gesicht thronte eine große Nase. Er war distinguiert, wenn auch dezent gekleidet, alles saß perfekt und war von bester Qualität, der dunkelblaue Anzug, die hellblaue Krawatte (Himmel, bei der Hitze!!), das blaugestreifte Hemd mit weißem Kragen und weißen Manschetten. Während Nelly sich rasch alles einprägte, sah der Anwalt sie fragend an.
»Ähm, ja, entschuldigen Sie, ich bin Commissario Rosso von der Genueser Polizei, Morddezernat. Heute Morgen habe ich mit Don Silvano gesprochen ...«
»Ach ja, Dottoressa. Don Silvano hat mich darüber in Kenntnis gesetzt. Sie sind wegen dieser armen Mädchen hier, Samira Calvaj und Lena Oxa. Richtig?«
Nelly verwünschte innerlich Don Silvano und seine Einfältigkeit. Konnte der nicht den Schnabel halten, wo blieb da der Überraschungseffekt? Jetzt war das Kind in den Brunnen gefallen. Nicht zu ändern.
»Sie haben sich also um den Fall der beiden gekümmert, richtig, Avvocato? Was hatte sie zu Ihnen geführt?«
»Als die Calvaj das erste Mal zu mir kam, sah sie schrecklich aus. Sie hatte ein blaues Auge, das Gesicht war geschwollen. Sie war völlig verängstigt. Sie hatte unsere Adresse von einer ... Kollegin, der wir einige Zeit zuvor geholfen hatten, abzutauchen und ihrem Kuppler zu entkommen.«
Kuppler. Wie vornehm. Das klang natürlich gediegener als Zuhälter oder Loddel.
»Und wer war diese Kollegin?«
»Ich kann Ihnen den Namen nicht nennen. Eine, der wir geholfen haben und die ein neues Leben fern von der Straße angefangen hat.«
»Ich weise Sie darauf hin, Dottor Manara, dass wir es mit Ermittlungen zu sechs, ich wiederhole, sechs Mordfällen an Frauen zu tun haben, die in irgendeiner Weise mit Ihrem Verein in Verbindung standen. Meinen Sie nicht, dass das Beharren auf der beruflichen Schweigepflicht in einem solchen Fall völlig fehl am Platz ist?«
»Entschuldigen Sie, wenn ich widerspreche,
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