Das Boese in uns
Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand ihn lange genug erträgt, um mit ihm in die Kiste zu springen.«
»Der liebe Gott hat einen großen Tierpark.«
»Jedenfalls freut es mich für James.«
»Ja?«
»Ja. Er ist ein unleidlicher kleiner Mistkerl, und manchmal würde ich ihm am liebsten die Zähne einschlagen, aber er gehört trotzdem zur Familie. Ich bin froh, dass er neben dem J-O-B noch was anderes hat.«
Ich lächle ihn an. »Du bist ein großer alter Weichkeks, Alan.«
»Erzähl es bloß keinem. Hey, ich habe Vater Yates beobachtet, als du ihm die Geschichte von Rosemary erzählt hast, und von ihrer Beichte in diesem Video. Der Typ ist richtig gut. Ich konnte seine Reaktion unmöglich deuten.«
Alan liest Menschen wie andere Leute Bücher: Das Verengen der Pupillen, eine Veränderung der Atmung, selbst etwas scheinbar so Bedeutungsloses wie das Drehen eines Rings um einen Finger - das alles hat seine Bedeutung, wenn es darum geht, die Wahrheit aus jemandem herauszuholen. Alans Bemerkung bedeutet, dass Vater Yates sich sehr gut darauf versteht, solche Reaktionen zu unterdrücken.
»Es ist ein wirklich interessanter Fall«, fährt Alan fort. »Vielleicht sollten wir den guten Vater ein wenig genauer in Augenschein nehmen. Eine solche Kontrolle über sich selbst zu haben ist sehr selten, es sei denn, man wurde darin ausgebildet.«
»Er ist nicht unser Mann«, entgegne ich.
»Bist du sicher?«
Sicher? Das sollte ich eigentlich nicht sein. Ich wurde früher schon genarrt und habe Engeln vertraut, die sich als verkleidete Teufel erwiesen haben. Diesmal aber bin ich wirklich sicher.
»Ich bin sicher«, sage ich zu Alan.
»Irgendwelche neuen Einsichten gewonnen?«
Mehr wird Alan nicht fragen nach dem, was im Beichtstuhl zwischen Vater Yates und mir passiert ist. Er weiß, dass er die Sache auf sich beruhen lassen sollte, genauso, wie ich es tun würde, wären unsere Rollen vertauscht.
»Überprüf ihn, wenn du willst, Alan. Das volle Programm. Aber ich sag dir, er ist nicht unser Mann.«
»Okay, schon gut.« Er verstummt, und wir fahren schweigend durch die Nacht. Die Lichter der Stadt sind überall - wie schmutzige Brillanten auf einem grauen Samtkissen. Das ist L. A., wunderschön trotz all seiner Fehler. Ein Moloch, ungeschliffen bis in alle Ewigkeit und dennoch liebenswert in seinem durchsichtigen Streben nach Größe.
»Bedeutet das jetzt, dass du wieder in die Messe gehst und zur Kommunion und alles?«, fragt Alan schließlich.
»Hör auf mit diesem verrückten Gerede. Er hat mir geholfen, okay? Er hat nicht zwischen mir und Gott vermittelt. Ich habe das Gefühl, dass ich eine ganze Weile genug vom Katholizismus habe, noch bevor dieser Fall vorüber ist.«
»Amen.«
»Wie steht es mit dir?«
»Ich habe nicht mehr mit Gott gesprochen, seit ich zum zweiten Mal ein totes Baby gesehen habe.«
Wir sehen zu viele schlimme Dinge bei unserer Arbeit. Unser Problem mit dem Glauben an Gott ist: Wenn es Gott gibt, hat entweder der Teufel ihn verjagt, oder Gott schert sich einen Dreck um das, was hier unten passiert. Und gar kein Gott ist allemal besser als ein Gott, dem die Menschen egal sind.
Kapitel 30
»Willkommen daheim, Reisende«, sage ich zu mir selbst, als ich durch meine Haustür gehe.
Die Worte erscheinen nicht ganz so sinnentleert wie am Tag zuvor. Meine Beichte hat ein hohles Gefühl in meinem Innern hinterlassen, aber es ist nicht unangenehm. Es ist kein Schwarzes Loch in mir oder so etwas. Es ist mehr wie ein leerer Tisch, der darauf wartet, gedeckt zu werden.
Was stelle ich auf dich? Neues Porzellan oder das alte Familiensilber?
Ein wenig von beidem, überlege ich.
Ich klappe mein Handy auf und rufe Tommy an.
»Hey«, sagt er.
»Hast du schon geschlafen?«
»Nein. Ich habe an dich gedacht, um ehrlich zu sein.«
»Gut. Weil ich gerne reden möchte ... weil ich dir etwas sagen muss. Kannst du vorbeikommen? Bonnie schläft bei Alan und Elaina.«
»Alberne Frage«, sagt er. »Bis gleich.«
Er steht vor meiner Tür und sieht zerknitterter aus als jemals zuvor. Tommy ist kein Schickimicki - ich bin nie auf den Gedanken gekommen, dass er Zeit vor dem Spiegel verschwendet -, doch er ist stets gewaschen und rasiert und hat die Haare gekämmt. Heute Abend jedoch trägt er einen Stoppelbart, und seine Haare sehen aus, als hätten sie lediglich flüchtige Aufmerksamkeit erfahren. Auf seinem Hemd ist ein Essensfleck. Ich strecke die Hand aus und streichle seine Wange.
»Alles
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