Das Boese in uns
niemals schnappt. Ich sage nicht, dass es diesmal so ist — ich sage nur, dass Sie nicht alle fassen können.«
Ich starre ihn an und habe Mühe, ruhig zu bleiben.
»Sir, ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber ich will das im Augenblick nicht hören.«
Er zuckt gleichgültig die Schultern. »Niemand will das hören. Es steht zu viel auf dem Spiel, immer. Trotzdem sollten Sie sich seelisch auf den Tag vorbereiten, an dem es so weit ist, denn dieser Tag wird kommen, das steht fest.«
»Danke. Sehr aufmunternde Worte, Sir.«
Er lacht laut auf; es klingt wie ein Bellen. »Okay, okay. Ich schließe mich weiterhin mit Director Rathbun kurz. Tun Sie, was Sie tun müssen.«
»Danke, Sir.«
Mein Blick schweift durch das Büro. Callie unterhält sich am Telefon mit ihrer Tochter Marilyn über die bevorstehende Hochzeit. Die Tatsache, dass Callie nicht nur eine Tochter hat, sondern sogar schon einen Enkel, ist immer noch ein wenig verwirrend für mich. Sie war stets der Inbegriff einer Junggesellin, die Männer genossen hat wie andere ein Gourmet-Essen. Ihre einzigen permanenten Bindungen waren hier, bei uns, bei ihrer Arbeit.
Sie hatte einen Moment in ihrer Vergangenheit verdrängt, zusammen mit dem Schmerz, den er in ihr hervorgerufen hat, bis ein Fall und ein Killer sie und ihre Tochter wieder zusammengebracht haben.
Es macht mich wütend, hin und wieder jedenfalls, dass ein Serienmörder Callie dieses wunderbare Geschenk gemacht hat.
Alan ist nicht im Büro, und James hat die Nase in einer Akte vergraben.
Ich starre auf die weiße Tafel, bis meine Augen brennen. »Ein Haufen Nichts«, murmle ich leise vor mich hin. »Ein verdammter Haufen Nichts. Für den Augenblick jedenfalls.«
Einen Fall beiseite zu legen ist nicht so, als würde man eine Akte zuklappen und auf den Stapel der unerledigten Aufgaben legen. Man schließt die Augen und schleudert die Akte von sich, so weit man kann, während man selbst mit Höchstgeschwindigkeit in sein normales Leben zurücksprintet und so tut, als gäbe es den Fall nicht, als flatterte er nicht irgendwo da draußen über einem wie eine Fledermaus.
Doch er ist da. Er lauert hinter jeder Ecke, nie mehr als eine Armeslänge von einem entfernt, kichert leise vor sich hin und wartet darauf, dass der Wind sich dreht. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf und finde ihn auf meiner Brust, und er starrt mich aus schwarzen Augen an und grinst mich an aus einem Maul, das zu breit ist für sein Gesicht. Er liebt mich. Es ist furchtbar, doch er liebt mich.
Ich werde Bonnie abholen, also breite ich die Arme aus und schleudere diesen Dämon von mir. Die schiere Willenskraft rettet mich wieder einmal, für den Augenblick.
Kapitel 20
Ich konsultiere meine Einkaufsliste im Wagen, um sicherzugehen, dass ich alles habe. Bonnie und ich wählen unser wöchentliches Rezept stets gemeinsam aus. Diese Woche waren wir besonders ehrgeizig und haben uns für ein Steak mit Madeira-Essig-Sauce entschieden. Die bloße Tatsache, dass die Sauce die unwahrscheinliche Mischung aus Madeira, Balsamessig und Dijon-Senf beinhaltet, ist ein bisschen einschüchternd, doch wir sind übereinstimmend zu dem Entschluss gekommen, etwas Neues zu wagen.
Ich lese die Liste leise vor mich hin: »Delmonico Steaks, gebrochener Pfeffer, Olivenöl... ja, alles da.«
Zufrieden mache ich mich auf den Weg zum regelmäßigen Höhepunkt meines Tages, der darin besteht, meine Adoptivtochter abzuholen und mit nach Hause zu nehmen.
»Smoky!«
Es ist ein Schrei des Entzückens, gefolgt von einem schlanken Mädchenkörper mit ausgestreckten Armen, die mir um den Hals fliegen. Ich erwidere die Umarmung und wundere mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Bedauern, wie groß Bonnie bereits geworden ist. Mit ihren zwölf Jahren misst sie bereits einsfünfundfünfzig, was für einen Außenstehenden wahrscheinlich normal ist. Für mich aber bedeutet es, dass Bonnie größer ist als ich. Die Tatsache, dass ich vor zwei Jahren noch auf ihren Kopf hinuntersehen konnte, unterstreicht die Veränderungen, die sie in dieser Zeit durchgemacht hat.
Ich bin nie dazu gekommen, diese Erfahrungen mit Alexa zu durchleben und ihr dabei zuzusehen, wie sie sich nach und nach vom Mädchen zur jungen Frau entwickelt. Bonnie steht an der Schwelle zum Teenager, und sie ist definitiv die Tochter ihrer Mutter. Annie war wunderschön, blond und frühreif. Bonnie besitzt das gleiche blonde Haar, die gleichen eindrucksvollen blauen Augen und
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