Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
Vom Netzwerk:
denken: Jim, ach Jim! 
    Da stand Jim, und da stand der große Mann, und jeder  musterte den anderen wie sein Spiegelbild in einem  leeren Schaufenster am Abend. Von dem dunklen,  groben Anzug des Mannes fielen Schatten auf Jims  Gesicht, krochen in seine Augen und ließen sie  gewitterdunkel erscheinen und nicht so lebhaft grün, wie  sie sonst immer blickten. Jim stand da, als habe er einen  langen Dauerlauf hinter sich, atmend, die Hand wie nach  einem Geschenk ausgestreckt. Es war ein Geschenk aus  zuckenden Bildern. Mr. Dark ließ seine Illustrationen, die  kalthäutigen Tiere, über sein warm durchpulstes  Handgelenk springen. Am Himmel traten die Sterne  hervor, und Jim starrte nur. Will konnte nichts sehen.  Weit in der Ferne kehrten die letzten Besucher in ihren  Autos zur Stadt zurück.
    "Donnerwetter!" sagte Jim schwach, und Mr. Darkrollte seinen Ärmel wieder herab. 
    "Vorstellung beendet. Essenszeit. Zirkus bleibt bis  sieben geschlossen. Raus mit euch! Komm wieder,  ›Simon‹. Du darfst auf dem Karussell fahren, sobald es  repariert ist. Hier, eine Freikarte." 
    Jim starrte das nun bedeckte Handgelenk an und schob  die Karte in seine Tasche. 
    "Wiedersehen!" 
    Jim rannte. Will rannte. 
    Jim fuhr herum, blickte zurück, machte einen Satz und  war zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde  verschwunden. 

    Will blickte hinauf in den Baum. Dort hockte Jim  versteckt auf einem Ast. Er schaute zurück. Mr. Dark und  Mr. Cooger kehrten ihnen die Rücken zu und arbeiteten  an ihrem Karussell. 
    "Rasch, Will!" 
    "Jim..." 
    "Sie sehen dich sonst. Rauf!" 
    Will sprang hoch. Jim zog ihn auf den Ast. Der hohe  Baum bebte. Am Himmel heulte der Wind. Will keuchte,  und Jim hielt ihn zwischen den Zweigen fest. 
    "Jim, wir haben hier nichts zu suchen." 
    "Halt den Mund. Schau doch!" flüsterte Jim. 
    Irgendwo in der Maschinerie des Karussells klapperte  Eisen. Es quietschte leise, dann pfiff der Dampf durch die  Pfeifen der Zirkusorgel. 
    "Was war auf seinem Arm zu sehen, Jim?" 
    "Ein Bild." 
    "Was für ein Bild?" 
    "Es war..." Jim schloß die Augen. "Ein Bild. Von einer  Schlange. Ja – eine Schlange." Aber als er die Augen  wieder öffnete, konnte er Will nicht ansehen. 
    "Na schön, wenn du's mir nicht sagen willst." 
    "Ich hab's dir doch gesagt, Will. Eine Schlange. Ich sag  ihm nachher, er soll's dir auch zeigen, wenn du willst.  Ja?" 
    Nein, dachte Will. Ich will es nicht. 
    Er sah hinab auf die Millionen Fußspuren in den  Sägespänen des verlassenen Weges. Plötzlich war  Mitternacht viel näher als Mittag. 
    "Ich geh nach Hause..." 
    "Klar, Will, geh nur. Spiegelgewirr, alte Lehrerinnen,  verlorene Blitzableitertaschen, ein Blitzableiterverkäufer  verschwindet – aber du willst nach Hause gehen. Schlangenbilder zucken, die Karussells sind wieder in Ordnung – geh nur, Will, alter Freund. Geh nur!" 
    "Ich..." Will blickte hinab und erstarrte. 
    "Alles klar?" rief unten eine Stimme. 
    "Klar!" rief jemand vom anderen Ende des  Mittelganges zurück. 
    Mr. Dark trat, keine zwanzig Schritte entfernt, an einen  roten Schaltkasten neben der Kasse des Karussells. Er  sah sich nach allen Seiten um. Er starrte in den Baum  hinauf. 
    Will machte sich klein, Jim machte sich klein. Sie  verschmolzen fast mit dem Ast. 
    "Einschalten!" 
    Das Karussell setzte sich knarrend und klappernd in  Bewegung. Zügel strafften sich, es hob und senkte sich. 
    Aber – es ist doch kaputt! dachte Will. Es ist doch  außer Betrieb! Er warf Jim einen raschen Blick zu. Der  deutete heftig nach unten. Das Karussell drehte sich –  jawohl... 
    Aber es drehte sich rückwärts!  
    Die kleine Zirkusorgel, die dazu gehörte, klapperte mit  den Trommeln, die nach nervösen Hengsten klangen.  Herbstliche Zymbeln gellten, Kastagnetten klapperten,  dann krächzten heiser, halb erstickt, seufzend die Pfeifen  und Flöten. 
    Auch die Musik läuft rückwärts, dachte Will. 
    Mr. Dark fuhr herum und blickte nach oben, als hätte er  Wills Gedanken gehört. Ein Windstoß schüttelte die  schwarz aufragenden Wipfel. Achselzuckend wandte sich  Mr. Dark ab. 
    Das Karussell drehte sich schneller, kreischend,  holpernd, immer rundherum – rückwärts! 
    Nun kam Mr. Cooger, der Mann mit dem feuerroten Haar und den leuchtendblauen Augen, den Mittelgang  entlang und schaute sich um. Genau unter ihrem Baum  blieb er stehen. Will hätte ihm leicht auf den Kopf 

Weitere Kostenlose Bücher