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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Ich bin schuld, ich hab den Witz mit dem Wasser gemacht, das muß Sie durcheinandergebracht haben. Sie haben sich dann verirrt und hatten Angst..." 
    Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Ihre Zähne gruben sich in ihren Handrücken, ihre Stimme klang wie die einer Ertrinkenden, die – fast schon erstickt – aus dem Wasser auftaucht, die keine Hoffnung mehr hatte und nun plötzlich wieder lebt. 
    "Niemand drin? Sie liegt ganz tief auf dem Grund. Armes Mädchen. Ich hab sie gut gekannt. ›Ich kenne dich!‹ sagte ich, als ich sie vorhin sah. Ich winkte, sie winkte zurück. ›Hallo!‹ Ich rannte auf sie zu – bums, da fiel ich hin. Sie fiel hin. Tausendmal fiel sie hin. ›Warte!‹ rief ich. Sie sah so hübsch aus, so jung. Aber das machte mir angst. ›Was machst du denn hier drin?‹ fragte ich sie. Ich glaube, sie hat geantwortet: ›Wieso? Ich bin doch wirklich – aber du nicht!‹ Dann lachte sie, tief drunten im Wasser. Sie rannte zwischen den Spiegelbildern davon. Wir müssen sie finden, bevor..." 
    Will legte seinen Arm um Miss Foley und hielt sie fest. 
    Sie holte noch einmal tief Luft, dann wurde sie seltsam still. Jim starrte tief in die kalten Spiegel hinein und suchte vergebens nach Haien. 
    "Miss Foley, wie sah sie denn aus?" fragte er. 
    Miss Foleys Stimme klang matt, aber ruhig. "Nun, eigentlich – eigentlich sah sie aus wie ich vor vielen, vielen Jahren." 
    Dann sagte sie: "Ich gehe jetzt nach Hause." 
    "Miss Foley, wir..." 
    "Nein. Bleibt ruhig hier, es geht schon wieder. Viel Spaß!" 
    Langsam ging sie weg, den breiten Weg entlang, sehr allein. 
    Irgendwo ließ ein großes Tier Wasser. 
    Ammoniakgeruch machte den vorbeistreifenden Wind sehr alt. 
    "Ich gehe", sagte Will. 
    "Will – wir bleiben bis zum Abend, bis es dunkel wird. Wollen doch alles ansehen. Oder willst du kneifen?" 
    "Nein", murmelte Will. "Aber wer will noch einmal in den Irrgarten hineintauchen?" 
    Jim starrte wütend in die grundlose See, wo sich jetzt nur noch das Licht spiegelte, Leere vor ihren Augen. 
    "Niemand." Sein Herz klopfte zweimal. "Ich glaube, niemand..." 

Sechzehntes Kapitel 

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    Bei Sonnenuntergang geschah etwas Schlimmes. Jim  verschwand. 
    Am Vormittag und Nachmittag hatten sie lärmend alle  Karussells ausprobiert, schmutzige Milchflaschen  umgeworfen, nach Ringen geangelt und sich mit offenen  Ohren, Augen und Nasen ihren Weg durch die quirlende  Menge gebahnt, die auf Laub und Sägespänen  herumtrampelte.
    Dann war Jim auf einmal fort.
    Will brauchte keinen zu fragen außer sich selbst.  Zielsicher steuerte er durch die dünner werdende  Menschenmenge unter dem Himmel, der sich  pfirsichfarben rötete, bis er das Spiegelkabinett erreichte.  Er bezahlte seinen Eintritt, tastete sich zwischen die  Spiegel hinein und rief halblaut, aber nur einmal. 
    "Jim?" 
    Da war Jim. Halb versank er im kalten Glas, halb ragte er daraus hervor wie jemand, den man am Meeresufer  allein gelassen hat, während sein guter Freund weit  hinausgeschwommen ist. Da stand er nun und wartete, ob  er jemals zurückkommen würde. Jim sah aus, als hätte er  seit mindestens fünf Minuten keinen Finger gerührt, mit  keiner Wimper gezuckt. Mit offenem Mund lauschte er  der nächsten Woge entgegen, ob sie ihm mehr über den  verlorenen Freund erzählen konnte. 
    "Jim! Komm hier heraus!" 
    "Will, laß mich in Ruhe!" Er seufzte leise. 
    "Den Teufel werd ich!" Will stand mit einem Satz  neben Jim, packte ihn beim Gürtel und zog. Jim schien  nicht einmal zu bemerken, daß er rücklings herausgezerrt  wurde, so versunken war er in den Anblick eines  unsichtbaren Wunders.
    Leise protestierte er: "Will, ach,  Will! O Will..." 
    "Jim, du bist übergeschnappt! Ich bring dich nach  Hause." 
    "Was? Wie? Was?" 
    Sie standen im kalten Abendwind. Der Himmel war  inzwischen dunkler als eine Pflaume. Hoch droben  brannten ein paar Wolken im letzten Feuer der Sonne.  Das Licht spiegelte sich auf Jims fiebrigen Wangen,  seinen geöffneten Lippen, seinen großen tiefgrünen  Augen. 
    "Jim, was hast du da drin gesehen? Dasselbe wie Miss  Foley?" 
    "Was? Was?" 
    "Ich hau dir die Nase ein! Komm jetzt!" Will zerrte,  schob und stieß. Er mußte seinen fiebernden,  selbstvergessenen Freund halb tragen. 
    "Kann's dir nicht sagen. Glaubst es doch nicht. Kann's  dir nicht sagen, was ich da drin... Oh, da drin, da drin..." 

    "Halt den Schnabel!" Will packte ihn

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