Das Böse kommt auf leisen Sohlen
Ägyptens vor der Stadt zu hohen Dünen. Wie kommt es nur, dachte Will, daß ich in so einer Stunde an viertausend Jahre alten Staub alter Völker denken kann, der um die Welt treibt – wo ich doch so traurig bin, weil keiner es merkt, bis auf mich und vielleicht Dad, aber wir reden nicht darüber.
Es war wirklich eine Zeit zwischen den Zeiten. In der einen Sekunde waren ihre Gedanken neugierige Terrier, in der nächsten schlafende Katzen, samten und weich. Es war Zeit zum Schlafen, aber sie zögerten noch wie alle Jungen, die um Bett und Kopfkissen einen weiten Bogen machen. Es war eine Zeit, in der man vieles sagen kann, wenn auch nicht alles. Die Zeit nach den ersten Entdeckungen – doch andere standen ihnen noch bevor.
Sie wollten alles wissen und nichts wissen. Es war die neugefundene Süße eines Männergesprächs, wie es sein muß. Es war auch die mögliche Bitterkeit der Offenbarung.
Eigentlich sollten sie nach oben gehen, aber sie konnten sich in diesem Augenblick, der für die Zukunft ähnliches versprach, nicht trennen; Augenblicke in kommenden, nahen Nächten, in denen der Mann und der zum Mann werdende Junge am liebsten gesungen hätten.
So fragte Will schließlich vorsichtig:
"Dad? Bin ich ein guter Mensch?"
"Ich denke schon. Doch – ich weiß es."
"Wird mir – wird mir das etwas nützen, wenn's wirklich hart auf hart kommt?"
"Ja, es wird dir helfen."
"Wird es mich notfalls auch retten? Ich meine, wenn ich unter lauter bösen Menschen bin, und in meilenweitem Umkreis ist nicht ein einziger guter Mensch – was dann?"
"Es wird dir helfen."
"Das genügt mir nicht, Dad."
"Gott garantiert nicht für deinen Leib. Es geht mehr um den Seelenfrieden..."
"Aber, Dad, hast du nicht auch manchmal solche Angst, daß du..."
"Daß man keinen Seelenfrieden findet?" Sein Vater nickte und machte ein bedrücktes Gesicht.
"Dad", fragte Will mit sehr leiser Stimme. "Bist du ein guter Mensch?"
"Dir und deiner Mutter gegenüber ja. Ich versuche es. Aber kein Mensch ist immer nur ein Held. Ich kenn mich jetzt ein ganzes Leben lang. Ich kenne alles, was es an mir Bemerkenswertes gibt..."
"Und wenn du alles zusammenrechnest?"
"Eine Summe von allem? Nun, die anderen kommen und gehen, und ich verhalte mich meist still. Ja, da bin ich schon ganz in Ordnung."
Will fragte: "Und warum bist du dann nicht glücklich, Dad?"
"Der Rasen vor dem Haus – warte mal – morgens um halb zwei ist nicht der richtige Ort zum Philosophieren..."
"Ich wollt's ja nur mal wissen."
Sie schwiegen eine Weile, dann seufzte Dad.
Er nahm Will beim Arm und führte ihn zur Verandastufe. Sie setzten sich, er zündete sich die Pfeife wieder an. Schmauchend sagte er: "Na gut. Mutter schläft ja. Sie weiß nicht, daß wir Nachtschwärmer hier draußen sitzen. Also können wir ruhig weitermachen. Nun hör mir mal zu: Wann bist du auf den Gedanken gekommen, ein guter Mensch müßte immer glücklich sein?"
"Das glaube ich immer schon."
"Dann mußt du jetzt umlernen. Manchmal trägt der Mann, der am glücklichsten von allen aussieht, der immer mit dem breitesten Lächeln durch die Stadt läuft, die allergrößte Sündenlast. Es gibt solche und solche Lächeln, man muß lernen, die dunklen von den lichten zu unterscheiden. Wer bellend lacht, richtig laut und herzhaft, der hat meist etwas zu verbergen. Er hat seinen Spaß gehabt und trägt eine Schuld mit sich herum. Die Menschen lieben nämlich die Sünde, Will – und wie sie sie lieben! In allen Farben, Formen, Größen, Arten. Es gibt Zeiten, da steht unser Appetit nicht nach einem schön gedeckten Tisch, sondern nach einem Futtertrog.
Wenn einer die anderen Menschen zu laut lobt, dann muß man achthaben, ob er sich nicht gerade im Sumpf gesuhlt hat. Andererseits sieht man manchmal Menschen vorbeigehen, unglücklich, bleich, niedergeschlagen – das sind zuweilen die wirklich guten Menschen, Will. Gut sein ist nämlich furchtbar schwierig. Die Menschen strengen sich an und zerbrechen dabei oft. Ich kenn ein paar davon. Der Bauer muß sich doppelt so sehr anstrengen wie sein Schwein. Vielleicht liegt es am Nachdenken über das Gutsein, daß eines Nachts der Sprung in die Mauer kommt. Es sind auch die Menschen mit dem höchsten moralischen Standard, die schon die Last eines Härchens spüren. Sie lassen sich selbst keine Ruhe, sie lassen nicht locker, wenn sie merken,
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