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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Gegenwart. 
    "Mama!" schrie das Kind. 
    Der Zwerg blieb stehen und betrachtete das Kind, das nicht größer war als er selbst. Ihre Blicke trafen sich. 
    Will warf sich zurück und versuchte mit dem Körper förmlich am Beton zu kleben. Er spürte, wie Jim dasselbe tat. Sie regten sich nicht, aber ihre Gedanken rasten. Sie versteckten sich im Dunkeln vor dem kleinen Drama, das sich da oben abspielte. 
    "Komm, Kleiner!" sagte eine Frauenstimme. 
    Der Junge wurde weggezerrt. Zu spät. 
    Der Zwerg sah schon nach unten. 
    Und in seinem Blick waren die verlorenen und zerstreuten Stücke eines Mannes, der einmal Fury geheißen und Blitzableiter verkauft hatte – wie viele Tage, wie viele Jahre war das wohl her? – in der wunderbar sicheren Zeit, ehe die Angst geboren wurde. 
    Ach, Mr. Fury, was hat man ihnen nur angetan, dachte Will. Unter eine Ramme geworfen, in einer Stahlpresse zerquetscht, Tränen und Schreie aus dem Brustkorb gepreßt, wie ein Schachtelmännchen zusammengedrückt, bis nichts mehr übrig war von Mr. Fury – nur noch dieser... Dieser Zwerg. Das Zwergengesicht war kaum noch menschlich. Es wurde immer maschinenähnlicher – eine Kamera. 
    Die Linsenaugen bewegten sich blicklos, öffneten sich in der Dunkelheit. Klick. Zwei Linsen dehnten sich und zogen sich rasch und geschmeidig wieder zusammen. 
    Schnappschuß von dem Kellergitter. 
    Auch ein Schnappschuß von dem, was darunter war? 
    Starrt er das Metall an, dachte Will, oder blickt er durch die Zwischenräume? 
    Eine geraume Weile verharrte der Zwerg, diese verlorene, zerquetschte Puppe aus Lehm, regungslos. Er stand aufrecht, aber er schien zu hocken. Seine Blitzlichtaugen waren weit aufgerissen. Vielleicht schossen sie immer noch Bilder? 
    Doch die Kameraaugen des Zwergs sahen eigentlich nicht Jim und Will, sondern nur ihre Umrisse, ihre Farbe, ihre Größe. Dieses Bild war im Fotokasten des Schädels gespeichert. Später – wieviel später? – konnte das Bild vom irren, winzigen, vergeßlichen, wandernden, verlorenen Verstand des Blitzableitermannes entwickelt werden. Erst dann würde er sehen, was wirklich unter dem Gitter lag. Und dann? Enthüllung! Rache! 
    Vernichtung! 
    Klick. Schnapp. Tick. 
    Kinder liefen lachend vorbei. 
    Der Kind-Zwerg wurde von ihnen mitgerissen. Irr wankte er davon, erinnerte sich, suchte nach etwas, wußte aber nicht, was es war. 
    Die umwölkte Sonne tauchte den ganzen Himmel in Licht. 
    Die beiden Jungen waren in der lichtgestreiften Höhle gefangen. Sie preßten leise den Atem durch knirschende Zähne. 
    Jim drückte Wills Hand. Fest, ganz fest. 
    Die beiden warteten auf die nächsten Augen, die vorbeikommen und das Kellergitter absuchen würden. 
    Die tätowierten blau-rot-grünen Augen – alle fünf – fielen von der Theke herunter. 
    Charles Halloway schlürfte seine dritte Tasse Kaffee und drehte sich auf seinem Hocker ein wenig herum. 
    Der Illustrierte Mann beobachtete ihn. 
    Charles Halloway nickte. 
    Der Illustrierte Mann nickte nicht, seine Augen blinkten nicht, er starrte Charles Halloway nur unverwandt an, bis der sich am liebsten abgewandt hätte, es aber nicht tat, sondern nur so gelassen wie möglich den Blick des unverschämten Eindringlings erwiderte. 
    "Was soll's denn sein?" fragte Ned. 
    "Nichts." Mr. Dark betrachtete Wills Vater. "Ich suche zwei Jungen." 
    Wer sucht die nicht? Charles Halloway erhob sich, bezahlte und ging. "Danke, Ned." Als er an dem tätowierten Mann vorbeikam, hielt der gerade Ned die Hände hin, mit den Handflächen nach oben. 
    "Jungen?" fragte Ned. "Wie alt?" 
    Die Tür schlug zu. 
    Mr. Dark sah Charles Halloway nach, wie er draußen am Fenster vorbeiging. 
    Ned redete. 
    Doch der Illustrierte Mann hörte ihm nicht zu. 
    Wills Vater ging auf die Bibliothek zu, blieb stehen, ging weiter zum Gericht, blieb stehen, wartete auf die nächste Eingebung, tastete seine Taschen ab, vermißte die Zigaretten und ging zurück zum Zigarrenladen. 
    Jim blickte nach oben und sah vertraute Schuhe, ein blasses Gesicht, salz-und-pfefferfarbenes Haar. "Will! Dein Dad! Ruf ihn. Er wird uns helfen." 
    Will brachte keinen Laut hervor. 
    "Dann werde ich ihn rufen!" 
    Will packte Jims Arm, schüttelte heftig den Kopf. 
    Nein! 
    "Warum nicht?" fragten lautlos Jims Lippen. "Darum nicht", antworteten Wills Lippen. 
    Weil... Er blickte hoch... Da oben sah Dad noch kleiner aus als am vergangenen

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