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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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auf Beerdigungen, ihr Kichern, wenn sie beim Frühstück die Todesanzeigen lesen, rechnet all die Ehen hinzu, in denen es zugeht wie Katz und Hund, wo Menschen ein Leben lang nichts anderes tun, als sich gegenseitig die Haut in Fetzen vom Leib zu reißen und sie verkehrtrum wieder anzukleben, rechnet die Quacksalber hinzu, die Menschen aufschneiden und in ihren Gedärmen wie in Teeblättern lesen, sie dann wieder mit gezeichneten Fäden zunähen, multipliziert diese ganze Dynamitfabrik mit zehn Quatrillionen – dann habt ihr die magische schwarze Macht dieses einen Zirkus. 
    Alles Gemeine in uns entleihen sie sich vervielfacht. 
    Sie sind für Schmerz, Trauer und Krankheit milliardenmal empfänglicher als der durchschnittliche Mensch. Wir würzen unser Leben mit den Sünden anderer. Uns schmeckt unser Fleisch süß. Doch dem Zirkus ist es gleichgültig, wenn es im Mondschein stinkt, statt in der Sonne, solange es nur von Angst und Pein überquillt. Das ist der Treibstoff, der Dampf, der das Karussell im Kreise treibt, der Rohstoff des Schreckens, die unsagbare Qual der Schuld, der Schrei wegen echter oder eingebildeter Wunden. Der Zirkus saugt dieses Gas ein, zündet es, und weiter geht's!" 
    Charles Halloway holte tief Luft, schloß die Augen und sagte: 
    "Woher ich das weiß? Ich weiß es nicht! Ich fühle es! 
    Ich schmecke es. Vor zwei Tagen war es wie altes Laub, dessen Geruch der Wind herantreibt. Es war der Duft von Totenblumen. Ich höre diese Musik. Ich höre, was ihr mir erzählt und die Hälfte von dem, was ihr mir nicht erzählt. 
    Vielleicht hab ich immer schon von einem solchen Zirkus geträumt und nur darauf gewartet, bis mal einer kommt und ich nur nicken muß. Die Schau da draußen, diese Zelte, sie spielen auf meinen Knochen wie auf einer Marimba. Mein Skelett weiß es. Es sagt mir alles. Und ich sag's euch."

Vierzigstes Kapitel 

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    Können sie...", begann Jim zögernd, "ich meine... kaufen sie... kaufen sie Seelen?" 
    "Warum kaufen, wenn man sie umsonst kriegen kann?" antwortete Mr. Halloway. "Die meisten Menschen sind doch begierig nach einer Gelegenheit, alles für nichts aufzugeben. Mit nichts anderem gehen wir so nachlässig um wie mit unseren unsterblichen Seelen. Außerdem deutest du damit an, daß da draußen der Teufel sei. Ich sage aber nur, es ist eine Art Kreatur, die es gelernt hat, von Seelen zu leben – es sind nicht die Seelen selbst. Das hat mich an den alten Mythen immer gestört. Ich habe mich gefragt: Wozu braucht Mephistopheles eine Seele? Was macht er damit, wenn er sie kriegt, was nützt sie ihm? Macht Platz, ich lege jetzt meine eigene Theorie auf den Tisch! Diese Kreaturen brauchen das Leuchtgas aus den Seelen, die nachts keinen Schlaf finden und am Tage wegen alter Sünden fiebern. Eine tote Seele läßt sich nicht entzünden. Aber eine lebende, zerquälte Seele, heiß von Selbstanklage – ja, das ist das Richtige für solche, wie die sind! 
    Woher ich das weiß? Ich halte die Augen offen. Der Zirkus ist wie Menschen – nur menschlicher. Ein Mann und eine Frau gehen nicht voneinander, sie bringen einander nicht um, sondern sie martern einander ein Leben lang, reißen sich die Haare, die Fingernägel einzeln aus, und die Qual des einen ist dem anderen das Narkotikum, das ein Leben erst lebenswert macht. Der Zirkus spürt von Magengeschwüren geplagte Egos aus meilenweiter Entfernung auf und fliegt herbei, um Hand an die Schmerzen zu legen. Er riecht Jungen, die sich damit abquälen, Männer zu werden, und die dabei schmerzen wie große dumme Weisheitszähne aus zwanzigtausend Meilen Entfernung, einen in Winternacht gebetteten Sommer. Er fühlt die Schwermut alternder Männer, wie ich einer bin, die sich nutzlos nach längst verlorenen Augustnachmittagen sehnen. Not, Armut, Sehnsucht – wir verbrennen sie in unserem Lebenssaft, oxydieren sie in unseren Seelen, stoßen einen Strom davon aus Lippen, Nasen, Augen und Ohren, senden mit Antennenfingern über Kurz-oder Langwelle, weiß Gott was, aber die Herren der Mißgeburten spüren das Jucken und kommen angerannt, um zu kratzen. Die Reise ist weit und leicht. An jedem Kreuzweg stehen genug Menschen bereit, die ihnen gern eimerweise Schmerzen als Treibstoff geben. Vielleicht bleibt der Zirkus so am Leben. Er existiert von den Sünden, die wir einander antun, vom Gift unserer schrecklichsten Reue." 
    Charles Halloway schnaubte. 
    "Du

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