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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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liebe Zeit, wieviel hab ich in den letzten zehn Minuten laut gesagt, wieviel nur gedacht?" 
    "Sie haben eine Menge geredet", sagte Jim. 
    "Verdammt, aber in welcher Sprache?" rief Charles Halloway, denn plötzlich hatte er den Eindruck, daß er auch nicht mehr getan hatte als in anderen Nächten, da er allein in der Bibliothek herumgelaufen war und seine Gedanken den langen Gängen mitgeteilt hatte, die sie ihm als Echo einmal zurückwarfen und sie dann im Nichts verschwinden ließen. Sein Leben lang hatte er Bücher geschrieben, geschrieben in die gewaltigen Räume gewaltiger Gebäude, und sie waren zu den Fenstern hinausgeflogen. Nun kam ihm alles wie ein Feuerwerk vor, das nur wegen der Farbe, wegen des Klanges, des prächtigen Wortbaus abgebrannt wurde, um auf die Jungen Eindruck zu machen und ihm selbst zu schmeicheln, das aber keinen Eindruck hinterließ, nachdem Farbe und Ton vergangen waren. Nur eine Übung im Monolog. Verlegen kam er näher. 
    "Wieviel davon ist wohl angekommen? Jeder fünfte Satz? Oder zwei Sätze von acht?" 
    "Drei von tausend", sagte Will. 
    Charles Halloway konnte nicht anders, er lachte und seufzte zugleich. 
    Dann warf Jim ein: "Ist es... ist es der... Tod?" 
    "Der Zirkus?" Der alte Mann entzündete seine Pfeife, blies den Rauch aus und sah ihm nach. "Nein. Aber ich glaube, er gebraucht den Tod als Drohung. Der Tod existiert nicht. Es hat ihn nie gegeben, es wird ihn nie geben. Aber wir haben von ihm so viele Bilder gemalt, all die Jahre hindurch, haben versucht, ihn festzuhalten, zu verstehen, daß wir ihn als Wesenheit ansehen, seltsam lebendig und gierig. Aber er ist nichts weiter als eine stehengebliebene Uhr, ein Verlust, ein Ende, Dunkelheit. 
    Nichts. Und der Zirkus ist klug genug zu wissen, daß wir uns vor dem Nichts mehr fürchten als vor dem Etwas. 
    Gegen ein Etwas kann man kämpfen. Aber... das Nichts? Wo trifft man das? Hat es ein Herz, eine Seele, einen Hintern, einen Verstand? Nein, nein! So schüttet uns der Zirkus nur einen großen Becher voller Nichts hin und schnappt uns, wenn wir vor Angst auf den Rücken fallen. 
    Oh, er zeigt uns schon etwas, das zu nichts führen könnte! Die glitzernden Spiegel da draußen auf der Festwiese, das ist schon etwas! Etwas Seltenes. Genug, um eine Seele aus dem Sattel zu werfen. Es ist ein Tiefschlag, wenn man sich selbst nach neunzig Jahren sieht und von einem der Dunst der Ewigkeit aufsteigt wie der Dampf von Trockeneis. Dann, wenn du steifgefroren bist, spielen sie dir diese liebliche, zu Herzen gehende Musik vor, die nach frisch gewaschenen Kleidern riecht, flatternd auf einer Leine im Mai, die klingt, wie wenn Heuhaufen in Weinbergen liegen, eine Melodie von blauem Himmel und Sommernacht – bis in deinem Kopf Trommeln dröhnen, die wie Vollmonde aussehen und um die Zirkusorgel kreisen. Wie einfach. Herr im Himmel, wie ich ihre einfache, direkte Art bewundere! Man braucht nur einen alten Mann mit Spiegeln zu schlagen und zuzusehen, wie seine Stücke in einem Puzzle von vielen Eisbrocken zu Boden fallen – und nur der Zirkus kann sie wieder zusammensetzen? Wie? Sie lassen dich zu den Klängen eines Walzers auf dem Karussell rückwärts fahren. Aber sie sind vorsichtig und sagen den Leuten, die zu ihrer Musik Karussell fahren, kein Wort davon." 
    "Wovon?" fragte Jim. 
    "Nun, daß du in der einen Gestalt ein übler Sünder bist, wenn du es in der anderen Gestalt warst. Sie ändern die Größe, aber damit verändern sie nicht das Gehirn. Wenn ich dich morgen in einen Fünfundzwanzigjährigen verwandelte, Jim, dann wären deine Gedanken immer noch die eines Jungen, und man würde es merken. Oder wenn sie mich in diesem Augenblick in einen zehnjährigen Jungen verwandelten, so wäre mein Verstand immer noch fünfzig, und dieser Junge würde sich seltsamer, unheimlicher verhalten, als jemals zuvor sich ein Junge benommen hat. Aber noch auf andere Weise ist die Zeit aus den Fugen geraten..." 
    "Wie denn?" fragte Will. 
    "Wenn ich Junge würde, so wären alle meine Freunde doch immer noch fünfzig oder sechzig, nicht wahr? Ich wäre für ewig von ihnen abgeschnitten, weil ich ihnen doch nicht sagen könnte, was ich angestellt habe. Sie wären dagegen. Sie würden mich hassen. Ihre Interessen wären nicht mehr meine Interessen, das ist doch klar? 
    Besonders ihre Sorgen. Krankheit und Tod für sie, für mich ein neues Leben. Wo auf dieser Welt ist also

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