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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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gehorsam wurde sein Herz an den Zügel genommen. Tick-tick machten ihre Finger. 
    Charles Halloway schnaubte und kicherte leise. 
    Er hörte es. Warum? Wie kann ich – kichern – in einem solchen Augenblick? 
    Die Hexe zuckte einen Viertelzoll zurück, als habe sie eine seltsame, verborgene elektrische Fassung mit nassem Knöchel berührt und einen Schlag bekommen. 
    Charles Halloway bemerkte ihr Zucken und bemerkte es doch nicht, spürte ihr Zurückweichen, konnte aber keinen Nutzen daraus ziehen, denn sofort ergriff sie wieder die Initiative, beugte sich noch weiter vor, berührte ihn nicht, aber gestikulierte lautlos über seiner Brust, als wollte sie das Pendel einer antiken Uhr mit ihrer Zauberkraft zum Stillstand bringen. 
    "Langsam!" rief sie. 
    Er dachte nichts, aber aus seinem Innern drang ein idiotisches Lächeln an die Oberfläche und setzte sich unter seiner Nase fest. 
    "Ganz langsam!" 
    Ihr Fieber, ihre Erregung, die sich in Wut verwandelte, war ihm wie ein Spielzeug. Ein Teil seiner Aufmerksamkeit, die bisher geschlummert hatte, tastete jede Pore ihres maskenhaften Gesichts ab. 
    Unwiderstehlich wurde ihm das Wichtigste klar: Nichts war mehr wichtig. Am Ende erschien ihm dieses Leben als eine einzige gigantische Farce. Man konnte nur auf der einen Seite des Korridors zurücktreten und seine sinnlose Länge, seine unnötige Größe bestaunen, ein Berg von so lächerlichen Ausmaßen, daß man wie ein Zwerg im Schatten steht und sich über den Pomp des Lebens lustig macht. Mit dem Tod vor Augen dachte er nun dumpf, aber hellsichtig über eine Milliarde Nichtigkeiten nach, über Ankunft und Abfahrt, über idiotische Exkursionen, die er als Junge, als junger Mann, als Mann und als alter Esel unternommen hatte. Er hatte alle Arten von Schwächen, Tricks und Spielsachen seines Egoismus angesammelt, und das alles schwand nun zwischen den Korridoren alberner Bücher dahin. Und nichts von allem war grotesker als dieses Ding da, die Hexe, die Zigeunerin, die im Staub lesen konnte – spaßig, nichts weiter! Sie kitzelt die Luft! Albern! Weiß sie denn nicht, was sie tut? 
    Er öffnete den Mund. 
    Ganz von selbst, ein Kind, geboren von ahnungslosen Eltern, brach schallendes Gelächter aus ihm hervor. 
    Die Hexe taumelte zurück. 
    Charles Halloway sah nichts. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, den Spaß wie Sand durch seine Finger rieseln zu lassen, der Fröhlichkeit, die sich aus seiner Kehle Bahn brach, nachzulauschen, mit geschlossenen Augen zu spüren, wie das Lachen gleich einem Schrapnell in alle Richtungen zerplatzte. 
    "Du!" schrie er und meinte niemanden, sich, sie, alle, die anderen – alles. "Wie komisch! Du!" 
    "Nein!" protestierte die Hexe. 
    "Hör auf zu kitzeln!" keuchte er. 
    "Nein!" keuchte sie verzweifelt. "Nicht! Schlafen! Schlaf! Langsam! Ganz langsam!" 
    "Nein, ist das komisch!" Er lachte lauthals. "Ha-ha! Nein, hör auf damit!" 
    "Ja, hör auf, Herz!" kreischte sie. "Bleib stehen, Blut!" 
    Ihr eigenes Herz mußte beben wie eine Trommel, ihre Hände zitterten. Mitten in der Bewegung hielt sie inne und spürte, wie dumm ihr Gestikulieren war. 
    "O mein Gott!" Er lachte Tränen. "Laß endlich meine Rippen in Ruhe. Oh – ha-ha! Schlag weiter, mein Herz!" 
    "Das Herz – jaaaaa!" 
    "Gott im Himmel!" Er riß die Augen auf, schnappte nach Luft, und dann wurde ihm alles klar, wie reingewaschen mit Wasser und Seife. "Spielzeug! In eurem Rücken stecken noch die Schlüssel. Wer hat euch denn aufgezogen?" 
    Noch ein brüllendes Gelächter schlug der Frau entgegen, verbrannte ihr die Finger, versengte ihr das Gesicht – so schien es jedenfalls; denn sie schreckte zurück wie vor einem feurigen Ofen, wickelte die gerösteten Hände in ägyptische Lumpen, raffte sich auf, stolperte zurück, hielt inne und machte sich dann langsam, Zoll für Zoll, Schritt für Schritt, auf den Rückzug. Sie stieß an Bücherregale, tastete haltsuchend über Buchrücken und riß sie zu Boden. Ihre Stirn krachte gegen uralte Geschichten, eitle Theorien, aufgespeicherte Zeit, versprochene, aber vertane Jahre. Gejagt und gepeitscht von seinem Gelächter, das vielfaches Echo zurückwarf und die marmornen Gewölbe ausfüllte, wirbelte sie schließlich herum, zerkratzte mit ihren Klauen die wildgewordene Luft und floh die Treppe hinab. 
    Sekunden später schob sie sich gerade noch durch das Tor nach draußen. Es krachte hinter ihr

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