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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Meilen entfernt, blieb stehen. 
    Sie kann es doch nicht gehört haben, dachte Will. Und doch... 
    Sie schaute herüber zur Bibliothek. 
    "Gut", seufzte Mr. Dark. "Ausgezeichnet, großartig!" 
    Hier, dachte Will. Siehst du uns denn nicht, Mom? Lauf, hol die Polizei! 
    "Warum schaut sie nicht zu diesem Fenster her?" fragte Mr. Dark leise. "Dann sähe sie uns drei wie ein Bild dastehen. Nur ein Blick. Dann kommt sie gerannt. Wir lassen sie herein." 
    Will unterdrückte ein Schluchzen. Nein. Nein! 
    Der Blick seiner Mutter schweifte vom Eingang zu den Fenstern im Erdgeschoß. 
    "Hier!" sagte Mr. Dark. "Im ersten Stock. Wenn schon ein Zufall, dann richtig!" 
    Nun sagte Jims Mutter etwas. Die beiden Frauen standen nebeneinander an der Bordsteinkante. 
    Nein, dachte Will. O nein! 
    Die beiden Frauen drehten sich um und gingen weg, hin zur Stadt in ihrer sonntäglichen Abendstille. 
    Will spürte, wie der Illustrierte Mann sich ein winziges bißchen entspannte. 
    "Nicht viel los mit dem Zufall, keine Krise, keiner verloren, keiner gerettet. Schade. – Also!" 
    Er zerrte die Jungen hinter sich her und ging die Stufen hinunter, um die Tür aufzumachen. 
    Im Schatten wartete jemand. 
    Eine Eidechsenhand legte sich kalt an Wills Kinn. 
    "Halloway", wisperte die heisere Hexenstimme. 
    Ein Chamäleon hockte sich auf Jims Nase. 
    "Nightshade", raschelte die Stimme wie ein trockener Besen. 
    Hinter ihr standen schweigend, unruhig, aufgeregt der Zwerg und das Skelett. 
    Bei dieser Gelegenheit hätten die beiden Jungen wieder aus Leibeskräften geschrien, aber der Illustrierte Mann ahnte es wie vorhin voraus und unterdrückte den Laut, ehe er ihnen über die Lippen kam. Dann nickte er der 
    alten Staubhexe zu. 
    Die Hexe beugte sich vor. Ihre zugenähten, schwarzen, wächsernen Lider zuckten, die wie ein alter Pfeifenkopf schwarz verklebten Löcher ihrer großen Hakennase bebten, die spinnendünnen Finger malten lautlos geheimnisvolle Symbole ins Leere. 
    Die Jungen rissen die Augen auf. 
    Die Fingernägel bewegten sich, zitterten, wedelten kalte, winterliche Luft herbei. Ihr säuerlicher Froschatem jagte ihnen eine Gänsehaut über den Rücken. Sie sang, summte, trällerte leise für ihre Babys, ihre Jungen, ihre Freunde vom glatten Dach, vom gut geschossenen Pfeil, der den Ballon vom Himmel holte. 
    "Spitznadelige Drachenfliege, nähe diese Münder zu, daß sie nicht mehr reden können!" 
    Ihr Daumennagel stach, berührte, nähte, zog, stach und nähte wieder, streifte über die Unterlippen, bis sie mit unsichtbarem Faden fest zusammengenäht waren. 
    "Spitznadelige Drachenfliege, nähe diese Ohren zu, daß sie nicht mehr hören können!" 
    Kalter Sand rieselte durch Wills Ohren und verschüttete die Stimme der Hexe. Gedämpft, in unendlicher Ferne, summte und sang sie weiter, ein Rascheln nur, ein Ticken wie von Uhrzeigern. 
    Moos wuchs in Jims Ohren und verstopfte sie sofort. 
    "Spitznadelige Drachenfliege, nähe diese Augen zu, daß sie nichts mehr sehen können!" 
    Ihre weißglühenden Finger drückten die Augäpfel der Jungen zurück und ließen die Lider darüberfallen wie schwere eiserne Tore, die ins Schloß krachen. 
    Will sah Millionen Blitzlichter aufflammen und ins Dunkel sinken, während das unsichtbare Insekt draußen irgendwo sirrte und summte wie eine Biene, die vom sonnenwarmen Honigtopf angelockt wird. Die kaum hörbare Stimme versiegelte die Sinne der Jungen für ewig und einen Tag. 
    "Spitznadelige Drachenfliege, du hast vollendet Auge, Ohr, Lippe und Zahn, vollende die Naht, nähe Finsternis, häufe Staub, bring tiefen Schlummer, knüpf alle Knoten fest und dicht, pumpe Schweigen ins Blut wie Sand im tiefen Flußgrund. So. So!" 
    Irgendwo vor den Jungen ließ die Hexe ihre Hände sinken. 
    Die Jungen standen schweigend da. Der Illustrierte Mann ließ sie los und trat zurück. 
    Die Staubhexe stieß ob ihres doppelten Sieges einen zufriedenen Schnaufer aus und strich ein letztes Mal liebevoll mit den hageren Händen über ihre Statuen. 
    Der Zwerg taumelte irre um die Schatten der Jungen herum, knabberte sanft an ihren Fingernägeln, rief leise ihre Namen. 
    Der Illustrierte Mann deutete mit dem Kopf zur Bibliothek hin. 
    "Die Uhr des Portiers. Halt sie an." 
    Die Hexe sperrte den Mund auf, atmete Verderben, verschwand in der Marmorgruft. 
    Mr. Dark kommandierte: "Links, rechts – eins, zwei!" 
    Die Jungen gingen die

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