Das Bourne-Attentat
eine oder andere für sie einfallen, nachdem er die Baupläne des Gebäudes studiert hatte, die er auf wundersame Weise aufgetrieben hatte. Soraya hatte selbst versucht, an die Pläne heranzukommen, doch es war ihr nicht gelungen.
Als sie zum Eingangstor kamen, wandte sich Soraya noch einmal an ihren Begleiter. »Bist du sicher, dass du mitmachen willst?«, fragte sie.
Tyrone nickte mit steinerner Miene. »Wir ziehen das durch.« Es nervte ihn, dass sie überhaupt fragte. Wenn es draußen auf der Straße einer aus seiner Truppe gewagt hätte, seinen Mut oder seine Entschlossenheit infrage zu stellen, dann hätte sich der Betreffende auf etwas gefasst machen können. Tyrone musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass sie hier nicht draußen auf der Straße waren. Er wusste nur zu gut, dass Soraya ein großes Risiko einging, wenn sie ihn an ihrer Arbeit beteiligte und ihn gleichsam »zivilisierte«, wie er es manchmal für sich nannte, wenn er sich wieder einmal von all den Regeln dieser weißen Leute eingeschränkt fühlte, über die er im Grunde gar nichts wusste.
Er sah sie aus dem Augenwinkel an und fragte sich, ob er sich je auf die Welt der Weißen eingelassen hätte, wenn er sie nicht lieben würde. Diese Frau war als halbe Araberin und Muslimin ja selbst in gewisser Weise eine Außenseiterin, und sie arbeitete für die Weißen – und nicht für irgendwelche Weißen, sondern für ihre mächtigsten Repräsentanten. Und wenn es ihr nichts ausmachte, dann konnte er es wohl auch. Trotzdem waren sie völlig unterschiedlich aufgewachsen. Sie hatte ihm erzählt, dass ihre Eltern ihr alles gegeben hätten, was sie brauchte; er selbst hatte kaum Eltern gehabt, und sie hatten ihm entweder nichts geben wollen oder waren dazu einfach nicht in der Lage. Sie hatte eine erstklassige Ausbildung genossen; er hatte Deron, der ihm zwar vieles beigebracht hatte, was aber die Ausbildung der Weißen nicht ersetzen konnte.
Es hatte schon eine gewisse Ironie, dass er über die Art von Ausbildung, wie sie sie bekommen hatte, noch vor wenigen Monaten gespottet hätte. Aber als er sie kennenlernte, erkannte er, wie wenig er in Wahrheit wusste. Gewiss, er verstand es, sich auf den Straßen durchzuschlagen – und das viel besser, als sie es gekonnt hätte. Aber er fühlte sich eingeschüchtert, wenn er von Leuten umgeben war, die die Highschool oder die Universität besucht hatten. Je länger er ihnen zusah, wie sie miteinander sprachen und umgingen und wie sie sich in ihrer Welt bewegten, umso deutlicher sah er, wie beschränkt sein eigenes Leben war. Was er gelernt hatte, half einem in den rauen Vierteln, in denen er aufgewachsen war, aber es gab eine große Welt außerhalb der Straßen, in denen er sich herumtrieb. Als ihm klar wurde, dass er, so wie Deron, die Welt jenseits seines Viertels erkunden wollte, wusste er auch, dass er sich selbst von Grund auf verändern musste.
An all das musste er denken, als er das imposante Haus sah, das von einem hohen Eisenzaun umgeben war. Wie er von den Plänen wusste, die er sich bei Deron eingeprägt hatte, war das Gebäude völlig symmetrisch angelegt; das einzig Ungewöhnliche waren die Antennen und Satellitenschüsseln auf dem Dach.
»Der Anzug steht dir gut«, sagte Soraya.
»Er ist verdammt unbequem«, erwiderte er. »Ich fühl mich richtig steif.«
»So wie jeder NSA-Agent.«
Er lachte wie ein römischer Gladiator, bevor er das Kolosseum betrat.
»Und genau darum geht es«, fügte sie hinzu. »Hast du das Namensschild, das Deron dir gegeben hat?«
Er klopfte sich auf das Herz. »Alles hier drin.«
Soraya nickte. »Okay, dann gehen wir.«
Er wusste, dass er riskierte, dieses Haus nicht mehr lebend zu verlassen, doch das machte ihm nichts aus. Warum auch? Was hatte er denn bisher aus seinem Leben gemacht? Gar nichts. Aber jetzt hatte er eine Entscheidung getroffen, so wie Deron es getan hatte. Und mehr kann man vom Leben nicht verlangen.
Soraya zeigte die Papiere vor, die LaValle ihr heute früh durch einen Boten hatte zukommen lassen. Trotzdem wurden sie von zwei NSA-Leuten, die wahrscheinlich Anweisung hatten, niemals zu lächeln, gründlich durchsucht. Als sie die Prozedur hinter sich hatten, wurden sie durchgewinkt.
Während Tyrone den Wagen über die gewundene Auffahrt lenkte, erläuterte ihm Soraya, welche Überwachungssysteme man zu überwinden hätte, wenn man von außen in die Anlage eindringen wollte. Ihre Worte hatten etwas Tröstliches, weil sie diese Hürden
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