Das Bourne-Attentat
herabfielen.
Arkadin folgte Kuzin, während die beiden Helfer die Mädchen durch das dichte Unterholz schoben. Der harzige Duft der Kiefern war so intensiv, dass er fast den Verwesungsgestank überdeckte.
Nach etwa hundert Metern hielten die Männer die beiden Mädchen am Mantelkragen zurück. Kuzin zog seine Pistole und schoss eines der Mädchen in den Hinterkopf. Sie fiel nach vorne in die welken Kiefernnadeln der Grube, vor der sie standen. Das andere Mädchen schrie und wand sich im Griff des Mannes in dem verzweifelten Versuch, zu fliehen.
Dann wandte sich Kuzin Arkadin zu und drückte ihm die Pistole in die Hand. »Wenn du abdrückst«, sagte er, »dann sind wir gleichrangige Partner.«
Da war etwas in Kuzins Augen, das Arkadin einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Es kam ihm vor, als würden Kuzins Augen auf eine Art lächeln, wie der Teufel lächeln würde, ohne Wärme, ohne einen Funken Menschlichkeit, weil das Vergnügen, das darin leuchtete, abgrundtief böse und pervers war. In diesem Augenblick dachte Arkadin an die Gefängnisse, von denen Nischni Tagil umgeben war, denn er erkannte mit einem Mal, dass er in seinem eigenen höchstpersönlichen Gefängnis steckte und keinen Schlüssel besaß, um zu entfliehen.
Die Pistole – eine alte Luger mit dem Nazi-Hakenkreuz darauf – war schweißnass von Kuzins Erregung. Arkadin hob die Waffe, bis der Lauf auf den Kopf des Mädchens zeigte. Sie wimmerte und weinte. Arkadin hatte in seinem jungen Leben schon viel gemacht, manches davon unverzeihlich, aber er hatte noch nie ein Mädchen kaltblütig erschossen. Und doch musste er genau das jetzt tun, wenn er in dem Gefängnis von Nischni Tagil überleben wollte.
Er spürte, dass Kuzin ihn mit seinen roten Augen durchbohrte, die glühten wie die Schmelzöfen von Nischni Tagil, und er spürte den Lauf einer Pistole im Genick und wusste, dass der Fahrer des Wagens hinter ihm stand, zweifellos auf Kuzins Befehl.
»Tu es«, sagte Kuzin leise, »denn in den nächsten zehn Sekunden wird so oder so jemand diese Pistole abfeuern.«
Arkadin zielte. Der Schuss hallte durch den tiefen Wald, und das Mädchen glitt in die Grube zu ihrer Freundin.
Kapitel fünfunddreißig
Das Geräusch des nach vorne schnellenden Bolzens des 8-mm-Mauser-K98-Gewehrs hallte durch den Dachauer Luftschutzbunker. Doch dann kam nichts mehr.
»Verdammt«, knurrte der alte Pelz. »Ich hab vergessen, das Ding zu laden!«
Petra zog ihre Pistole, richtete sie in die Luft und drückte den Abzug. Nachdem das Ergebnis das gleiche war wie bei seinem eigenen Schussversuch, warf der alte Pelz das Gewehr auf den Boden.
»Scheiße!«, stieß er angewidert hervor.
Sie ging auf ihn zu. »Herr Pelz«, sagte sie in sanftem Ton, »ich bin Petra. Erinnern Sie sich an mich?«
Der alte Mann hörte auf, vor sich hin zu murmeln, und musterte sie eindringlich. »Du siehst einer Petra-Alexandra verdammt ähnlich, die ich mal gekannt hab.«
»Petra-Alexandra.« Sie lachte und küsste ihn auf die Wange. »Ja, ja, das bin ich!«
Er wich kurz zurück und hob die Hand an die Wange, wo sie ihn geküsst hatte. Dann richtete er seinen misstrauischen Blick auf Bourne. »Wer ist dieses Nazi-Schwein? Hat er dich gezwungen, hierherzukommen?« Er ballte die Hände zu Fäusten. »Ich werde ihn mir vorknöpfen!«
»Nein, Herr Pelz, das ist ein Freund von mir. Er ist Russe.«
Sie nannte den Namen, den Bourne ihr gesagt hatte und der in dem Pass stand, den Boris Karpow ihm gegeben hatte.
»Die Russen sind für mich um nichts besser als die Nazis«, erwiderte der Alte mürrisch.
»Eigentlich bin ich ein Amerikaner, der mit einem russischen Pass unterwegs ist«, sagte Bourne zuerst auf Englisch, dann auf Deutsch.
»Sie sprechen ziemlich gut Englisch für einen Russen«, entgegnete Pelz in ausgezeichnetem Englisch. Dann lachte er und zeigte seine vom Tabak gelb verfärbten Zähne. Dass er einen Amerikaner hier vor sich sah, schien ihn munter zu machen, so als erwachte er aus einem jahrzehntelangen Schlaf. Er war nicht verrückt, er lebte nur in zwei verschiedenen Welten – in der tristen Gegenwart und der lebendigen Vergangenheit. »Die Amerikaner waren meine Freunde, als sie uns von der Diktatur befreiten«, fuhr er stolz fort. »Damals habe ich ihnen geholfen, die Nazis zu finden, und auch die Nazi-Sympathisanten, die vorgaben, gute Deutsche zu sein.« Die letzten Worte spuckte er verächtlich aus.
»Was tun Sie dann hier?«, fragte Bourne. »Haben Sie kein
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