Das Bourne-Attentat
Whiskyflasche, beschloss dann aber, sich nicht gleich wieder einzuschenken.
»Farid und Ibrahim waren die besten Freunde. Sie wuchsen gemeinsam auf, beide als einzige Söhne von großen Familien. Vielleicht hat sie das so eng miteinander verbunden. Ihre Freundschaft war sehr stark und hielt den größten Teil ihres Lebens – aber Ibrahim Sever war seinem Wesen nach ein Krieger, und Farid Ikupow ein Intellektueller, und so war die Saat für ihr Zerwürfnis vielleicht schon früh gelegt. Im Krieg funktionierte es sehr gut, dass sie sich die Führung der Organisation teilten. Ibrahim war für die Soldaten der Schwarzen Legion an der Ostfront verantwortlich; Farid entwickelte und leitete das Geheimdienst-Netzwerk in der Sowjetunion.
Erst nach dem Krieg begannen die Probleme. Nachdem Ibrahim seine Rolle als Truppenkommandant nicht mehr ausüben konnte, fürchtete er, immer mehr an Macht zu verlieren.« Pelz schnalzte mit der Zunge. »Hören Sie, Amerikaner, wenn Sie sich in der Geschichte auskennen, dann wissen Sie sicher, wie die langjährigen Freunde und Verbündeten Gaius Julius Cäsar und Pompeius zu erbitterten Feinden wurden und wie sie sich von den Ambitionen und Machtkämpfen ihrer Gefolgsleute anstecken ließen. So war es auch bei diesen beiden. Irgendwann kam Ibrahim – zweifellos beeinflusst von seinen militanteren Ratgebern – zu dem Schluss, dass sein langjähriger Freund die Macht für sich allein wollte. Im Gegensatz zu Cäsar, der gerade in Gallien war, als Pompeius ihm den Krieg erklärte, wohnte Farid im Haus nebenan. Ibrahim Sever und seine Männer kamen eines Nachts und ermordeten Farid Ikupow. Drei Tage später erschoss Farids Sohn Semjon Ibrahim auf dem Weg zur Arbeit. Dafür wollte sich wiederum Ibrahims Sohn Asher rächen, und er versuchte Semjon in einem Münchner Nachtklub zu ermorden. Asher entkam, doch bei der Schießerei kam Ashers jüngerer Bruder ums Leben.«
Pelz rieb sich das Gesicht mit der Hand. »Sehen Sie, wie schnell so was geht, Amerikaner? Ein Rachefeldzug nach dem anderen, eine Blutorgie von biblischen Dimensionen.«
»Ich habe von Semjon Ikupow gehört, aber noch nie von Sever«, sagte Bourne. »Wo ist Asher Sever heute?«
Der alte Mann zuckte mit den dürren Schultern. »Wer weiß? Aber ich kann mir vorstellen, dass er längst tot ist.«
Bourne saß einige Augenblicke schweigend da und dachte an den Angriff der Schwarzen Legion auf den Professor, an die vielen kleinen Ungereimtheiten, auf die er gestoßen war: die Tatsache, dass Pjotrs Netzwerk hauptsächlich aus genusssüchtigen und inkompetenten Leuten bestand, dass der Professor gemeint hatte, es wäre seine Idee gewesen, dass ihm die gestohlenen Pläne über dieses Netzwerk übermittelt werden sollten, und schließlich die Frage, ob Mischa Tarkanian – und Arkadin selbst – der Schwarzen Legion angehörten. »Virgil«, sagte er schließlich, »ich muss Ihnen ein paar Fragen stellen.«
»Ja, Amerikaner.« Pelz sah ihn mit leuchtenden Augen an.
Dennoch zögerte Bourne einen Moment. Es widerstrebte ihm zutiefst, einem Fremden irgendetwas von seiner Mission oder ihrem Hintergrund anzuvertrauen, und doch sah er keine andere Möglichkeit. »Ich bin nach München gekommen, weil ein Freund von mir – ein Mentor, genaugenommen – mich gebeten hat, die Schwarze Legion zu verfolgen, einerseits weil sie einen Anschlag auf mein Land plant, und andererseits weil ihr Anführer Semjon Ikupow seinen Sohn Pjotr ermordet hat.«
Virgil Pelz blickte auf, einen neugierigen Ausdruck auf dem Gesicht. »Asher Sever übernahm das mächtige Geheimdienst- Netzwerk, das Asien und Europa umspannte, und warf Semjon hinaus. Ikupow hatte mit der Leitung der Schwarzen Legion nichts mehr zu tun. Wenn er das Sagen gehabt hätte, dann säße ich wahrscheinlich nicht mehr hier unten. Im Gegensatz zu Asher Sever war Ikupow ein Mann, mit dem man reden konnte.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie Semjon Ikupow und Asher Sever persönlich getroffen haben?«, fragte Bourne.
»Genau«, sagte Pelz und nickte. »Warum?«
Bourne erstarrte innerlich, als er das Undenkbare dachte. Konnte es sein, dass ihn der Professor die ganze Zeit belogen hatte? Aber wenn es so war – wenn er tatsächlich der Schwarzen Legion angehörte –, warum hatte er dann die Übermittlung der Angriffspläne ausgerechnet Pjotrs wackeligem Netzwerk anvertraut? Er musste doch gewusst haben, wie unzuverlässig diese Leute waren. Das alles ergab einfach keinen Sinn.
Bourne wusste,
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