Das Bourne-Attentat
können Sie ohnehin nicht machen.«
»Ich habe zu viel Zorn in mir«, sagte Petra. »Es ist wie eine Krankheit, die einen von innen her auffrisst.«
»Dachau ist Gift für Sie, und München übrigens auch«, sagte Bourne. »Sie müssen weg von hier.«
Sie wechselte auf die linke Spur der Autobahn und gab richtig Gas. Sie waren auf dem Weg zurück nach München – mit dem Auto, das Pelz’ Neffe unter seinem Namen für ihn gekauft hatte. Die Polizei suchte möglicherweise nach ihnen, doch ihre einzige Spur war Petras Wohnung in München, und sie hatten nicht die Absicht, sich dort blicken zu lassen. Solange sie nicht aus dem Auto ausstieg, glaubte Bourne, dass Petra kein allzu großes Risiko einging, wenn sie ihn zurück in die Stadt fuhr.
»Wo soll ich hingehen?«, fragte sie.
»Gehen Sie aus Deutschland weg.«
Sie lachte bitter. »Sie meinen, ich soll einfach weglaufen.«
»Warum müssen Sie es so sehen?«
»Weil ich Deutsche bin. Ich gehöre hierher.«
»Die Münchner Polizei sucht sie«, gab er zu bedenken.
»Und wenn sie mich finden, dann sitze ich eben meine Zeit ab, die ich dafür bekomme, dass ich Ihren Freund umgebracht habe.« Sie blendete die Scheinwerfer auf, damit ein langsameres Auto den Weg freimachte. »Aber bis dahin habe ich ja Geld. Ich komme schon zurecht.«
»Aber was wollen Sie tun?«
Sie sah ihn mit einem schiefen Lächeln an. »Ich kümmere mich um Virgil. Er muss mit dem Trinken aufhören. Er braucht einen Freund.« Als sie sich der Stadt näherten, wechselte sie die Fahrspur, damit sie jederzeit abfahren konnte. »Die Bullen werden mich nicht finden«, sagte sie mit einer merkwürdigen Sicherheit, »weil ich mit ihm weit von hier weggehe. Virgil und ich, wir sind zwei Flüchtlinge, die ganz von vorn anfangen müssen.«
Egon Kirschs Wohnung lag im Norden der Stadt, in Schwabing, das als Studenten- und Künstlerviertel bekannt war, dessen Straßen und Cafés voll waren mit jungen Leuten.
Als sie zur »Münchner Freiheit«, einem zentralen Platz in Schwabing, kamen, bog Petra ab. »Hier war ich früher oft mit meinen Freunden. Wir waren alle ziemlich radikal, wir haben uns für Veränderung engagiert, und diesem Platz hier haben wir uns besonders verbunden gefühlt, weil von hier aus die Freiheitsaktion Bayern, eine der bekanntesten Widerstandsgruppen, gegen Ende des Krieges Radio München betrieben hat. Sie forderten in ihren Sendungen die Bevölkerung auf, alle lokalen Nazi-Führer festzunehmen und zum Zeichen der Ablehnung des Nazi-Regimes weiße Tücher aus den Fenstern zu hängen, worauf damals übrigens die Todesstrafe stand. Sie haben damit tatsächlich vielen Zivilisten das Leben gerettet, als die amerikanische Armee einmarschierte.«
»Dann haben wir also doch noch etwas in München gefunden, auf das Sie stolz sein können«, bemerkte Bourne.
»Ja, wahrscheinlich«, sagte Petra und lachte fast traurig. »Aber von allen meinen Freunden war ich die Einzige, die eine Revolutionärin blieb. Die anderen sind heute Beamte oder Hausfrauen. Sie führen ein trostloses graues Leben. Ich sehe sie manchmal, wie sie zur Arbeit trotten, oder nach Hause. Wenn ich an ihnen vorbeigehe, sehen sie mich nicht einmal an. Eigentlich haben sie mich alle enttäuscht.«
Kirschs Wohnung lag im obersten Stockwerk eines schönen Hauses mit Fensterbögen und Terrakotta-Dachziegeln. Zwischen zwei Fenstern war eine Nische mit der Jungfrau Maria und dem Jesuskind.
Petra hielt vor dem Haus an. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Amerikaner«, sagte sie bewusst so, wie Virgil es getan hatte. »Danke … für alles.«
»Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber wir haben uns gegenseitig geholfen«, sagte Bourne, als er ausstieg. »Viel Glück, Petra.«
Als sie losfuhr, drehte er sich um, stieg die Treppe zum Haus hinauf und benutzte den Code, den Kirsch ihm gegeben hatte, um die Haustür zu öffnen. Das Innere war ansprechend und makellos sauber. Der holzgetäfelte Flur glänzte, nachdem das Holz erst kürzlich eingewachst worden war. Bourne stieg die geschnitzte Holztreppe bis zum obersten Stockwerk hinauf. Mit Kirschs Schlüssel sperrte er die Tür auf und ging hinein. Obwohl die Wohnung eigentlich hell und luftig war, mit ihren vielen Fenstern auf die Straße hinaus, lag doch eine tiefe Stille über allem, so als läge sie auf dem Grund des Meeres. Es gab keinen Fernseher, keinen Computer. Eine Wand im Wohnzimmer wurde ganz von Bücherregalen eingenommen, mit Bänden von Nietzsche, Kant,
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