Das Bourne-Attentat
ich sage, wir beide?«
»Dann müsste ich dich einen Lügner nennen.«
»Wir können das nicht haben, stimmt’s?«
»Das ist nicht meine Entscheidung.« Sie legte die Wange in ihre Hand und wartete. Als er nichts sagte, fügte sie hinzu: »Bitte, Jason. Ich will einfach mit dir reden.«
Die alte Angst davor, jemandem näherzukommen, stieg wieder in ihm hoch, doch gleichzeitig spürte er, dass etwas in ihm schmolz, so als würde sein eingefrorenes Herz anfangen aufzutauen. Vor einigen Jahren hatte er es sich zur Regel gemacht, eine gewisse Distanz zu anderen Menschen einzuhalten. Alex Conklin war ermordet worden, Marie war gestorben, Martin Lindros war aus der Gefangenschaft in Miran Schah nicht mehr zurückgekehrt. Alle waren sie fort, seine Freunde und seine große Liebe. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sich nach Marie zu keiner Frau mehr hingezogen gefühlt hatte. Er hatte seine Gefühle stets unterdrückt, aber jetzt konnte er einfach nicht anders. War das etwas, was von seiner David-Webb-Persönlichkeit ausging oder von Moira selbst? Sie war eine starke, selbstbewusste Frau. Er spürte eine gewisse Verwandtschaft zu ihr, auch sie betrachtete die Welt in gewisser Weise als Außenseiter.
Er sah ihr in die Augen und sagte, was ihn beschäftigte. »Die Menschen, denen ich nahegekommen bin, sind gestorben. Ich bringe andere in Gefahr.«
Sie seufzte und legte kurz eine Hand auf die seine. »Mir passiert schon nichts.« Ihre dunkelbraunen Augen schimmerten im Licht der Lampe. »Außerdem ist es nicht dein Job, mich zu beschützen.«
Das war ein weiterer Grund, warum er sich zu ihr hingezogen fühlte: Sie war auf ihre Weise auch eine Kämpferin.
»Sag mir die Wahrheit: Bist du glücklich an der Universität?«
Bourne überlegte einen Augenblick und spürte den inneren Kampf, der in ihm tobte. »Ich glaube schon.« Nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu: »Zumindest hab ich es geglaubt.«
Marie hatte sein Leben in ein goldenes Licht getaucht, aber Marie war fort; dieses Leben war Vergangenheit. Und nach dem sie nicht mehr da war, musste er sich der beängstigenden Frage stellen: Was war David Webb ohne sie? Er hatte das Familienleben aufgegeben, weil er einsehen musste, dass er ohne ihre Liebe und Unterstützung nicht in der Lage war, seine Kinder großzuziehen. Und zum ersten Mal wurde ihm bewusst, was sein Rückzug an die Universität wirklich bedeutete. Er wollte dieses schöne Leben wiedererlangen, das Marie ihm geschenkt hatte. Gewiss, er wollte auch Professor Specter nicht enttäuschen, aber in gewisser Weise tat er es auch für Marie.
»Was denkst du?«, fragte Moira leise.
»Nichts«, sagte er. »Gar nichts.«
Sie musterte ihn einen Moment lang. Dann nickte sie. »Also gut.« Sie stand auf, beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Ich mache dir das Bett hier auf dem Sofa.«
»Ist schon okay, sag mir einfach, wo ich die Bettwäsche finde.«
»Dort drüben«, antwortete sie und zeigte auf einen Schrank.
Er nickte.
»Gute Nacht, Jason.«
»Dann bis morgen. Aber bitte früh. Ich muss …«
»Ich weiß. Frühstück mit Dominic Specter.«
Bourne lag auf dem Rücken, einen Arm hinter dem Kopf. Er war müde, und er war sich sicher, dass er sofort einschlafen würde. Aber eine Stunde nachdem er das Licht abgedreht hatte, schien der Schlaf immer noch meilenweit entfernt zu sein. Hin und wieder knackte es im Kamin, und die Überreste des Feuers fielen in sich zusammen. Er starrte auf die Lichtstreifen, die durch die Jalousien hereinfielen, und hoffte, sie würden ihn zu fernen Orten führen, was in seinem Fall die Vergangenheit bedeutete. In gewisser Weise war er wie jemand, der seinen amputierten Arm immer noch spürte, obwohl er ihn schon lange verloren hatte. Es machte ihn verrückt, ständig irgendwelche fernen Erinnerungen zu ahnen, ohne sich aber wirklich erinnern zu können – so als würde es ihn an einer Stelle jucken, wo er sich nicht kratzen konnte. Er wünschte sich oft, er könnte sich an gar nichts erinnern, was auch ein Grund war, warum Moira so reizvoll war. Der Gedanke, ganz neu anzufangen, ohne die Bürde der Trauer und des Verlusts, war überaus verlockend. Doch noch immer schwelte dieser Konflikt in ihm, die Frage, ob er David Webb war oder Jason Bourne. Ob es ihm nun passte oder nicht, seine Vergangenheit war da und wartete auf ihn hinter dieser geheimnisvollen Barriere, die sein Gehirn errichtet hatte und die er nicht durchdringen konnte. Nicht zum ersten Mal
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