Das Bourne-Attentat
Vertrauensverhältnis herstellen, das man in der CI in der Vergangenheit schmerzlich vermisst habe, wie sie einmal gegenüber Soraya erwähnte. Nachdem sie in den vergangenen Tagen große Mengen an Informationen studiert hatte, war ihr zunehmend klar geworden, dass die Bunkermentalität ihres Vorgängers zu einer Atmosphäre des Misstrauens und der Entfremdung zwischen den Leitern der einzelnen Abteilungen geführt hatte. Der Alte ließ die sieben Abteilungschefs miteinander wetteifern und sich auch mit Methoden bekämpfen, die Veronica Hart verwerflich fand.
Hart war das Kind einer neuen Ära, in der man vor allem auf Kooperation setzte. Die Ereignisse des Jahres 2001 hatten gezeigt, dass Konkurrenz unter den Geheimdiensten fatale Folgen haben konnte. Soraya konnte sich dieser Haltung nur anschließen.
»Wie lange sitzen Sie schon hier?«, fragte Soraya.
Die Direktorin sah aus dem Fenster. »Ist es schon Morgen? Ich habe Rob schon vor einigen Stunden nach Hause geschickt.«
»Es ist schon fast Mittag«, antwortete Soraya lächelnd. »Wir wär’s mit Mittagessen? Sie müssen endlich wieder mal aus dem Büro rauskommen.«
Die Direktorin breitete die Hände aus, um auf all die Unterlagen zu zeigen, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelten. »Zu viel Arbeit …«
»Sie wird auch nicht erledigt werden, wenn Sie verhungern oder verdursten.«
»Okay, die Kantine …«
»Heute ist so ein schöner Tag – ich habe eher an ein Lieblingsrestaurant von mir gedacht.«
Veronica Hart blickte auf, als sie den warnenden Ton in Sorayas Stimme hörte. Ja, kein Zweifel, es gab da offenbar etwas, worüber die Leiterin von Typhon außerhalb des CI- Gebäudes mit ihr sprechen wollte.
Die Direktorin nickte. »Also gut. Ich hole meinen Mantel.«
Soraya zog ihr neues Mobiltelefon heraus, das sie sich heute früh in der CI geholt hatte. Ihr altes hatte sie an dem Platz, wo sie Moira Trevor observiert hatte, im Rinnstein neben ihrem Wagen gefunden. Nun schrieb sie damit eine kurze Nachricht.
Im nächsten Augenblick ertönte ein Signalton auf Veronica Harts Handy. Der Text, den Soraya ihr schickte, lautete: VAN X ST. Van auf der anderen Straßenseite.
Die Direktorin steckte ihr Handy ein und erzählte eine Geschichte, an deren Ende beide Frauen lachten. Dann unterhielten sie sich über die Vorzüge und Nachteile von Schuhen und Stiefeln, von glattem Leder und Wildleder, und darüber, welche Jimmy-Choo-Schuhe sie sich kaufen würden, sollten sie einmal genug verdienen, um sie sich leisten zu können.
Beide Frauen ließen den Van nicht aus den Augen, ohne es sich anmerken zu lassen. Soraya kannte eine Seitenstraße, in die ihnen der Van nicht folgen konnte, ohne aufzufallen. Sie verließen die Reichweite seiner elektronischen Abhörvorrichtungen.
»Sie kommen aus der Privatwirtschaft«, sagte Soraya. »Was ich nicht verstehe, ist, warum Sie auf das üppige Gehalt verzichtet haben, um DCI zu werden. Es ist so ein undankbarer Job.«
»Warum haben Sie die Leitung von Typhon übernommen?«, erwiderte Veronica.
»Es war ein großer Schritt für mich, im Ansehen und in der Bezahlung.«
»Aber das war nicht der Grund, warum Sie Ja gesagt haben, nicht wahr?«
Soraya schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ich es Martin Lindros schuldig bin. Ich war von Anfang an dabei. Weil ich eine halbe Araberin bin, hat Martin mich bei der Zusammenstellung von Typhon oft um Rat gefragt. Er wollte mit Typhon eine neue Art der Informationsbeschaffung einführen, mit Leuten, die wirklich verstehen, wie Muslime denken. Er meinte – und ich sehe das genauso –, dass man die verschiedenen Terrorzellen nur dann erfolgreich bekämpfen kann, wenn man die Motivation dahinter versteht. Wenn man mit dem Denken dieser Leute vertraut ist, kann man anfangen, ihre Vorhaben zu erahnen.«
Die Direktorin nickte, und ihr langes Gesicht wirkte sehr nachdenklich. »Meine Beweggründe waren ähnlich wie die Ihren«, sagte sie schließlich. »Ich hatte genug von der zynischen Haltung in den privaten Sicherheitsfirmen. Ihnen allen, nicht nur Black River, für die ich gearbeitet habe, geht es nur darum, so viel Geld wie möglich aus dem Chaos im Nahen und Mittleren Osten herauszuholen. In Kriegszeiten lässt sich in diesem Geschäft eine Menge verdienen, weil der Staat auf jede neue Krisensituation mit noch größeren Ausgaben reagiert, so als würde das die Probleme lösen. Tatsache ist aber, dass alle Beteiligten sich das Recht herausnehmen,
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