Das Bourne-Attentat
sich bei der NSA. Seit er herausgefunden hatte, dass seine Mutter eine Spionin war, wollte er selbst nichts anderes mehr werden. Und daran änderte sich nichts, auch wenn ihn seine Eltern noch so sehr zu überreden versuchten. Aufgrund seiner Sprachbegabung und seines Wissens über fremde Kulturen schickte ihn die NSA ins Ausland, zuerst ans Horn von Afrika zur Ausbildung, dann nach Afghanistan, wo er mit den dortigen Stämmen zusammenarbeitete, um die Taliban in den rauen Gebirgsgegenden zu bekämpfen. Er war ein Mann, den nichts mehr erschrecken konnte, der Entbehrungen erlebt und seine Erfahrungen mit dem Tod gemacht hatte. Er kannte mehr Wege, wie man einen Menschen töten konnte, als das Jahr Tage hatte. Im Vergleich zu dem, was er in den vergangenen neunzehn Monaten durchgemacht hatte, war die Aufgabe, mit der er hier konfrontiert war, das reinste Kinderspiel.
Kapitel siebzehn
Bourne und Baronow fuhren die mehrspurige Wolokolams- koje-Chaussee entlang. Die Crocus City war ein riesiger Komplex mit Einkaufszentrum, Messegelände, Hotels und Freizeitparks. Die im Jahr 2002 erbaute Anlage war aber auch ein idealer Ort, um einen Beschatter abzuschütteln.
Während Bourne passende Kleider kaufte, telefonierte Baronow mit seinem Handy. Es hatte keinen Sinn, sich im Gewühl der Menge der Überwachung zu entziehen, weil der Mann sie draußen auf dem Weg zum Auto leicht wiederfinden hätte können. Baronow rief einen Kollegen an, damit er ins Einkaufszentrum kam. Sie würden seinen Wagen nehmen, und er würde mit dem Zil nach Moskau fahren.
Bourne bezahlte seine Einkäufe und zog sich um. Baronow ging mit ihm ins Franck-Muller-Cafe, wo sie sich mit Kaffee und Sandwiches stärkten.
»Erzählen Sie mir von Pjotrs letzter Freundin«, sagte Bourne.
»Gala Nematova?« Baronow zuckte mit den Achseln. »Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Sie ist eben eins von diesen hübschen Mädchen, wie man sie in den neuen Moskauer Nachtklubs zu Dutzenden sieht.«
»Wo finde ich sie?«
»Sie dürfte dort sein, wo sich die Oligarchen herumtreiben.
Aber wo sie genau ist, das weiß ich auch nicht besser als Sie«, antwortete Baronow und lachte gutmütig. »Ich selbst bin ja ein bisschen zu alt für solche Lokale, aber ich führe Sie gern heute Abend ein bisschen herum.«
»Mir würde es schon genügen, wenn Sie mir ein Auto leihen könnten.«
»Kein Problem.«
Wenige Augenblicke später ging Baronow auf die Toilette, um mit seinem Freund die Autoschlüssel zu tauschen. Als er zurückkam, gab er Bourne ein zusammengefaltetes Blatt Papier mit dem Plan des Bankhauses.
Sie verließen das Gebäude nicht durch den Eingang, durch den sie gekommen waren, und kamen zu einem Parkplatz auf der anderen Seite des Einkaufszentrums. Dort stiegen sie in eine alte schwarze Wolga-Limousine, die zu Bournes Erleichterung sofort ansprang.
»Sehen Sie? Kein Problem«, sagte Baronow gut gelaunt. »Was würden Sie nur ohne mich anfangen, Gospodin Bourne?«
Das Frunzenskaja-Ufer lag südwestlich von Moskaus Gartenring. Michail Tarkanian hatte gesagt, dass er von seinem Wohnzimmer aus die Fußgängerbrücke zum Gorki-Park sehen könne. Er hatte nicht gelogen. Seine Wohnung befand sich in einem Haus in der Nähe des Restaurants Chlestakow, wo man laut Baronow ausgezeichnete russische Küche genießen konnte. Mit seinem hohen Säulengang und den dekorativen Balkonen war das Gebäude ein herausragendes Beispiel für den imperialen Stil der Stalin-Ära, in der die etwas romantischere architektonische Tradition verdrängt wurde.
Bourne wies Baronow an, im Wagen zu bleiben, bis er zurückkam. Er ging die Steintreppe hinauf, durch den Säulengang und weiter durch die Glastür. Der kleine Vorraum endete bei einer verschlossenen Tür. An der Wand zur Rechten waren die Klingelknöpfe für die einzelnen Wohnungen angebracht. Bourne fuhr mit dem Finger über die Reihe, bis er den Knopf mit Tarkanians Namen fand. Er merkte sich die Wohnungsnummer und wandte sich wieder der verschlossenen Tür zu. Mit einer kleinen biegsamen Klinge bearbeitete er das Schloss, bis die Tür mit einem Klicken aufging.
An der Wand zur Linken befand sich ein kleiner altersschwacher Aufzug. Zur Rechten führte ein prächtiges Treppenhaus in den ersten Stock hinauf. Die drei ersten Stufen waren aus Marmor, doch dann folgten einfache Betonstufen, von denen sich ein Pulver löste, das wie Talkum aussah.
Tarkanians Wohnung lag im dritten Stock in einem feuchten dunklen Gang, in dem es
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