Das Bourne Duell
»Wie Sie sehen, ist meine Frau zu einer glühenden Fürsprecherin des mexikanischen Lebensstils geworden.«
Der Verlauf des Gesprächs schien ihm etwas peinlich zu sein, so als hätte seine Frau keine guten Manieren bewiesen. Moira fragte sich, wie oft Barbaras Überzeugungen schon zu Streit zwischen den Eheleuten geführt haben mochten. Die Frage war, ob er grundsätzlich anderer Ansicht war oder ob er ihre Offenheit für geschäftsschädigend hielt.
»Waren Sie nicht immer dieser Überzeugung, Señora Skydel?«, fragte sie.
»Ich bin in Kolumbien aufgewachsen, darum wusste ich zuerst nur etwas über den Kampf meines Volkes gegen unsere Diktatoren und faschistischen Armeen.«
Narsico seufzte theatralisch. »Mexiko hat sie verändert.«
Moira hörte sehr wohl den Anflug von Bitterkeit in seiner Stimme. Sie studierte Barbara, während sie aß; schließlich war Essen etwas so Elementares, dass es manchmal mehr über die Menschen verriet, als ihnen bewusst war. Barbara aß schnell und mit einer fast aggressiven Haltung, so als müsse sie ihre Nahrung verteidigen, und Moira fragte sich, wie sie wohl aufgewachsen sein mochte. Als einziges Mädchen in der Familie hatte sie ihren Brüdern bestimmt in allem den Vortritt lassen müssen. Man sah ihr jedenfalls an, dass sie ihr Essen genoss und dass es ein sinnliches Erlebnis für sie war. Moira gefiel es, wie sie aß, und sie musste erneut daran denken, dass Corellos sie als Piranha beschrieben hatte.
In diesem Augenblick klingelte Narsicos Handy, er meldete sich, stand auf und entschuldigte sich. Moira fiel auf, dass Barbara ihn völlig ignorierte, als er ins Haus ging.
»Wie Sie sehen, gibt es verschiedene Zugänge zu der Geschichte«, sagte Barbara. Sie hatte eine sehr direkte Art zu sprechen und einen dabei anzusehen. »Ich würde Ihren Zugang gern ein bisschen beeinflussen.«
»Das haben Sie schon.«
Barbara nickte. Sie war eine von diesen glücklichen Frauen, an deren perfekter Figur und makelloser Haut die Jahre nicht das Geringste zu ändern schienen. Es war unmöglich, ihr genaues Alter zu schätzen. Nach ihrem Auftreten hätte Moira sie für etwa vierzig gehalten, aber sie sah mindestens fünf, sechs Jahre jünger aus.
»Woher kommen Sie?«, fragte Barbara.
»Also, ich komme gerade aus Bogotá«, antwortete Moira. Sie wusste, dass sie ein Risiko einging, aber sie hatte nicht die Zeit, um die Sache endlos in die Länge zu ziehen. Außerdem sagte ihr das Gefühl, dass sie Narsicos Abwesenheit ausnutzen sollte. »Ich habe Roberto Corellos besucht, Narsicos Cousin.« Sie musterte Barbaras Gesicht aufmerksam. »Er ist ja – zufällig oder nicht – ein alter Freund von Ihnen.«
Etwas Dunkles und Kaltes huschte über Berengária Morenos Gesicht. »Ich weiß nicht, was Sie meinen. Corellos und ich waren uns noch nie in irgendetwas einig«, erwiderte sie kalt.
»Wie heißt es so schön – Gegensätze ziehen sich an.«
Einen spannungsgeladenen Moment lang saß Barbara still da. Als sie den Mund aufmachte, um zu antworten, hatte sich ihr ganzes Aussehen verändert; da war nichts weiblich Anmutiges mehr an ihr, und Moira wusste genau, was Corellos gemeint hatte. Jetzt kommt der Piranha , dachte sie.
»Ich könnte Sie auf der Stelle rausschmeißen lassen«, sagte sie mit leiser, aber umso drohenderer Stimme. »Ich könnte Sie auch zusammenschlagen lassen oder …« Sie verkniff sich das letzte Wort.
»Oder was?«, fragte Moira. »Mich töten lassen? Nun, wir wissen beide, dass Ihr Mann nie den Mumm dazu hätte.«
Völlig unerwartet brach Barbara Skydel in schallendes Gelächter aus. »Oh, Jesús mío , hat man so was schon gehört?« Doch im nächsten Augenblick war sie wieder völlig ernst. »Roberto hatte kein Recht, Ihnen etwas zu erzählen.«
»Das müssen Sie mit ihm ausmachen.«
Barbara blickte kurz zum Haus zurück, wo Narsico mit dem Handy in der Hand hinter der Glastür auf und ab ging.
Barbara stand auf. »Gehen wir doch ein bisschen spazieren.«
Moira zögerte einen Augenblick, dann trank sie ihre Sangria aus und folgte Barbara, die am Tennisplatz vorbei in den Garten ging. Weit weg von der Hazienda, mitten in einer Gruppe von Zwergkiefern, wandte sich Barbara ihr zu. »Sie interessieren mich«, sagte sie. »Wer sind Sie – eine Journalistin sind Sie bestimmt nicht.«
Moira machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst. »Wie kommen Sie darauf?«
Barbara beugte sich zu ihr, in der bedrohlichen Art, wie manche Männer es machen.
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