Das Bourne Duell
Oberhaupt war sein Bruder, Hollys Onkel. Sie erzählte mir, dass es einen furchtbaren Streit in der Familie gab. Ihr Vater ging mit ihr und ihrer Mutter nach Bali, in ein Dorf, das ganz anders war als ihre Heimat im Atlasgebirge. Sie erzählte niemandem von ihrem geheimen Leben in Mexiko.«
Das stimmt nicht , dachte er. Sie hat es mir gesagt, oder ich habe es irgendwie herausgefunden. Und so muss der Laptop in Gustavo Morenos Händen gelandet sein. Ich muss ihn ihm gegeben haben. Aber warum? In diesem Puzzle gibt es noch so viele fehlende Teile .
Chrissie wandte sich ihm zu. »Dann haben Sie Holly wohl auch gekannt?«
Er gab keine Antwort, und so fügte sie hinzu: »Sie müssen schockiert sein von dem, was ich Ihnen erzählt habe.«
»Sie hätten es mir gleich sagen können.«
»Wir haben uns gegenseitig angelogen«, gab Chrissie mit einer gewissen Bitterkeit zurück.
»Mir ist das Lügen irgendwie zur Gewohnheit geworden.« Er hatte so ein unbestimmtes Gefühl, dass er Holly gebeten hatte, ihn auf eine ihrer Reisen nach Mexiko mitzunehmen. Oder hatte er sie dazu gezwungen?
»Warum sind Sie ausgestiegen?«
»Vielleicht hatte ich so was wie eine Erleuchtung in der Wüste von Sonora. Es ist kein so großes Wunder, dass Holly und ich uns getroffen haben. Wir sind beide von unserem früheren Leben davongelaufen. Wir hatten in unserem alten Leben nicht mehr gewusst, wer wir eigentlich sind oder wer wir sein wollten. Das, was man von uns erwartete, war uns jedenfalls zuwider.« Sie sah auf ihre geröteten Hände hinunter, als würden sie zu jemand anderem gehören. »Damals dachte ich, dass das abgeschiedene Leben, das ich in Oxford geführt hatte, irgendwie eine Illusion war. Aber nach einer Weile wurde mir klar, dass es Holly war, die einer Illusion nachjagte.«
Der Himmel hatte sich aufgehellt. In den Baumwipfeln hörte man Vögel rufen, und ein leichter Wind trug den Geruch von feuchter Erde und Leben mit sich.
»Eines Abends, es war schon sehr spät, ging ich in ein leeres Zimmer, jedenfalls dachte ich, dass es leer sei. Und da war Holly mit Gustavo Moreno, sie waren so richtig in Fahrt. Ich sah ein paar Sekunden zu, so als wären es zwei Fremde in einem Pornofilm. Dann dachte ich mir: Verdammt, das ist Holly . Wahrscheinlich bin ich in dem Moment aufgewacht.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich glaube, Holly ist nie aufgewacht.«
Bourne dachte, dass das wohl die traurige Wahrheit war. Holly hatte vielen Leuten ganz unterschiedliche Gesichter gezeigt. Diese multiple Persönlichkeit hatte es ihr ermöglicht, sich in sich selbst zu vergraben und sich vor allen zu verstecken, besonders vor ihrem Onkel, den sie wohl am meisten fürchtete.
In diesem Augenblick steckte Scarlett den Kopf heraus. »Hey, ihr zwei, wir haben Besuch.«
Drinnen standen Ottavio Moreno und Peter Marks im Wohnzimmer und beäugten einander argwöhnisch.
»Verdammt, was soll das?«, fragte Bourne.
»Das ist Ottavio Moreno, der Mann, der Diego Herrera ermordet hat«, sagte Marks zu Bourne. »Und du schützt ihn?«
»Das ist eine lange Geschichte, Peter«, antwortete Bourne. »Ich erklär’s dir im Wagen, wenn wir nach …«
Marks wandte sich Moreno zu. »Du bist der Bruder von Gustavo Moreno, dem kolumbianischen Drogenbaron.«
»Das stimmt«, sagte Moreno.
»Und der Patensohn von Don Fernando Herrera, dem Vater des Mannes, den du erstochen hast.«
Moreno schwieg, und so fuhr Marks fort: »Ich komme gerade von Don Fernando. Er ist völlig am Boden, wie du dir vorstellen kannst. Oder vielleicht kannst du’s dir auch nicht vorstellen. Jedenfalls glaubt er nicht, dass du seinen Sohn ermordet hast. Die Polizei ist sich aber sicher, dass du es warst.« Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte er sich Bourne zu. »Verdammt, wie konntest du das zulassen?«
Ottavio Moreno wollte die Vorwürfe offenbar nicht so einfach hinnehmen. »Du solltest dich erst mal beruhigen«, sagte er.
»Sag du mir nicht, was ich tun soll«, versetzte Marks aufgebracht.
Bourne war nah dran, die beiden Männer aufeinander losgehen zu lassen, einfach nur, um die Anspannung der letzten Stunden abzubauen, doch er musste auch an Chrissie und ihre Familie denken, und so ging er dazwischen. Er nahm Marks am Ellbogen und führte ihn
durch die Haustür hinaus, damit sie ungestört reden konnten. Doch bevor er ein Wort sagen konnte, kam Moreno herausgestürmt.
Er wollte auf Marks losgehen, doch ein Schuss aus den Bäumen hielt ihn auf. Er taumelte ein paar Schritte
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