Das Bourne Duell
ebenso wenig. Und selbst Streifenwagen ließen sich hier nur sehr selten blicken. Wenn einmal einer auftauchte, dann fuhr er sehr zügig, so als hätten es seine Insassen eilig, das Viertel hinter sich zu lassen.
Essai hielt seinen Wagen vor einem heruntergekommenen Stundenhotel an, und als er Willard hineinschleppte und ihn stützte, nahmen die Nutten an, dass der Mann so betrunken war, dass er nicht mehr allein stehen konnte. Sie zeigten Essai, was sie zu bieten hatten. Er ignorierte sie.
Essai stellte eine schwarze Arzttasche auf den Tresen des übel riechenden Kämmerchens, in dem ein dünner Mann im mittleren Alter mit käseweißem Gesicht saß und sich auf seinem tragbaren Fernseher einen Pornofilm ansah.
»Was«, sagte Essai und schob einen Zwanziger über den Tresen, »kein Concierge?«
Der dünne Mann lachte, und ohne seine glasigen Augen vom Fernsehschirm zu nehmen, griff er einen Schlüssel vom Schlüsselbrett und warf ihn auf den Tresen.
»Ich will nicht gestört werden«, sagte Essai.
»Das will keiner hier.«
Er schob noch einen Zwanziger über den Tresen, und der Mann schnappte ihn sich und nahm einen anderen Schlüssel vom Brett. »Erster Stock, ganz hinten«, sagte er. »Da drin können Sie sterben, und keiner würd’s merken.«
Essai nahm den Schlüssel und die schwarze Tasche.
Es gab keinen Aufzug. Willard die Treppe hinaufzuschleppen erwies sich als ziemlich mühsam, aber Essai schaffte es. Durch ein schmutziges Fenster am Ende des schmalen Flurs fiel etwas mattes Licht, und eine nackte Glühbirne beleuchtete die obszönen Graffiti an den Wänden.
Das Zimmer sah aus wie eine Gefängniszelle. Die
spärlichen Möbel – ein Bett, eine Kommode, in der eine Schublade fehlte, ein Schaukelstuhl – waren entweder grau oder farblos. Durch das Fenster sah man auf einen Luftschacht hinaus, wo es immer Nacht war. Es roch stark nach Karbolsäure und Reinigungsmittel. Essai wollte gar nicht daran denken, was sich hier drin schon zugetragen hatte.
Er ließ Willard auf das Bett fallen, öffnete die Arzttasche und legte einige Gegenstände in ordentlicher Reihe auf die fleckige Tagesdecke. Diese Tasche und ihren Inhalt hatte er immer bei sich, das hatte er sich schon ganz früh zur Gewohnheit gemacht, als er dafür ausgebildet wurde, sich hier in Amerika in das Leben der Leute einzuschleichen, die Severus Domna für ihn auswählte. Er hatte keine Ahnung, wie die Organisation auf Bud Halliday kam oder warum man annahm, dass der Mann eine so steile Karriere machen würde – aber andererseits hatte er mehr als einmal erlebt, dass Severus Domna die unheimliche Fähigkeit besaß, zukünftige Entwicklungen vorherzusehen.
Mit einem Cutter schnitt er Willard die Kleider vom Leib, dann nahm er eine Inkontinenzwindel und legte sie ihm an. Er schlug Willard leicht auf die Wangen, um ihn langsam aus seiner Bewusstlosigkeit zu wecken. Bevor Willard wieder ganz bei sich war, hob er seinen Kopf etwas an und setzte ihm eine Flasche Rizinusöl an die Lippen. Zuerst verschluckte sich Willard, und Essai zog die Flasche zurück, um ihm das Öl etwas langsamer einzuflößen. Willard schluckte den ganzen Inhalt der Flasche.
Essai warf die Flasche weg und schlug Willard etwas fester auf die Wangen, bis ihm das Blut in den Kopf stieg. Willard wachte auf, blinzelte und blickte sich um.
»Wo bin ich?«, stieß er mit belegter Stimme hervor.
Als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, griff Essai nach der Rolle Klebeband.
»Was ist das für ein Geschmack?«, fragte Willard.
Als er zu würgen begann, drückte ihm Essai ein Stück Klebeband über den Mund.
»Wenn du kotzt, dann erstickst du. Ich würde dir empfehlen, dich zu beherrschen.«
Essai setzte sich auf den Stuhl und schaukelte langsam vor und zurück, während Willard sich verzweifelt bemühte, den Würgreflex unter Kontrolle zu halten. Als er sah, dass sein Gefangener den Kampf gewann, sagte er: »Mein Name ist Jalal Essai.« Seine Augen öffneten sich weit, als er Willards Reaktion beobachtete. »Ah, ich sehe, du hast schon von mir gehört. Gut. Das macht die Sache einfacher. Du hast vorhin mit Benjamin El-Arian gesprochen. Dann war es sicher El-Arian, der dir von mir erzählt hat. Bestimmt hat er mich als Schurken hingestellt. Nun, Helden und Schurken – das ist alles eine Frage des Standpunkts. El-Arian würde mir wohl widersprechen, aber er hat ja bewiesen, wie schwankend er in seinen Entscheidungen ist, wie das Schilf, das sich im Wind mal in
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