Das Bourne Duell
Tracy stand – aber sie wollte nichts von ihm, und das hat sie ihm auch ganz offen gesagt.« Er nahm noch einen Schluck Whisky. Er trank ihn, als wäre es Wasser. »Was sie nicht sagte, nicht einmal mir, war, dass sie Noah irgendwie nicht mochte, oder sagen wir so: Sie hat ihm einfach nicht getraut.«
»Was heißt das genau?«
»Tracy hat gesehen, dass Noah es auf Holly abgesehen hatte, weil er sie selbst nicht bekommen konnte. Sie spürte irgendwie, dass für Noah das Ganze nur ein Spiel war, während Holly die Beziehung viel ernster nahm. Sie glaubte, dass das nicht gut ausgehen würde und dass Holly am Ende draufzahlen würde.«
»Warum hat sie nicht mit Noah geredet und ihm gesagt, dass er Holly in Ruhe lassen soll?«
»Das hat sie. Und er hat ihr gesagt, dass sie sich da raushalten soll – und das ziemlich rüde, wenn Sie mich fragen.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
Diego machte ein zerknirschtes Gesicht. »Ich weiß, ich hätte es tun sollen, aber ich habe Tracy nicht geglaubt, oder vielleicht wollte ich ihr nicht glauben, weil die Situation schon ziemlich verfahren war, und ich wollte nicht …«
»Was wollten Sie nicht? Sich die Hände schmutzig machen?«
Diego nickte, ohne Bourne in die Augen zu sehen.
»Sie müssen doch auch Ihre Zweifel an Noah gehabt haben.«
»Ich weiß nicht, vielleicht. Aber ich wollte einfach glauben, dass alles in Ordnung kommt – schließlich waren wir doch Freunde.«
»Eine etwas eigenartige Freundschaft, wenn Sie mich fragen.«
»Wenn ich so zurückschaue, dann kommt mir auch manches komisch vor. Keiner war das, was er vorgab zu sein. Ich versteh gar nicht, was uns zusammengebracht hat.«
»Das ist der Punkt, nicht wahr?«, sagte Bourne nicht unfreundlich. »Jeder von euch wollte etwas vom anderen; ihr wolltet alle irgendwie von der Freundschaft profitieren.«
»Was wir zusammen gemacht haben, was wir uns gegenseitig anvertraut haben – es war alles eine Lüge.«
»Nicht unbedingt«, meinte Bourne. »Sie wussten, dass Tracy für Arkadin gearbeitet hat, nicht wahr?«
»Nein, das habe ich Ihnen ja schon gesagt.«
»Als ich Sie fragte, was Arkadin gegen Tracy in der Hand hatte – wissen Sie noch, was Sie da gesagt haben?«
Diego biss sich auf die Lippe, sagte aber nichts.
»Sie haben gesagt, dass Tracy und Holly tot seien und dass man sie in Frieden lassen soll.« Er sah Diego in die Augen. »Ich glaube, Sie wollen nicht darüber reden, aber Sie wissen genau, was los war.«
Diego schlug mit der Handfläche auf die Granittheke. »Ich hab ihr versprochen, dass ich’s niemandem sage.«
»Das verstehe ich«, sagte Bourne nachsichtig, »aber jetzt hilft es ihr nicht mehr, wenn Sie es weiter geheim halten.«
Diego fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er eine unangenehme Erinnerung wegwischen. An einem der Spieltische sagte ein Mann: »Ich steige aus.« Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und streckte sich.
»Also gut.« Diego wandte sich Bourne zu. »Sie hat gesagt, dass Arkadin ihrem Bruder aus einer schlimmen Klemme geholfen hätte und dass er das jetzt gegen sie verwenden würde.«
Bourne wollte schon sagen: Aber Tracy hatte doch gar
keinen Bruder . Doch er hielt sich gerade noch rechtzeitig zurück und sagte nur: »Sonst noch etwas?«
»Nein, nichts mehr. Das war, nachdem wir … vor dem Einschlafen. Es war sehr spät, sie hatte zu viel getrunken, sie war den ganzen Abend deprimiert gewesen, und dann, hinterher, hat sie die ganze Zeit geweint. Ich fragte sie, ob ich irgendwas Falsches gemacht hätte, aber sie weinte nur, und ich hielt sie im Arm. Als sie sich endlich beruhigt hatte, sagte sie es mir.«
Irgendetwas stimmte hier nicht. Chrissie hatte gesagt, dass sie und Tracy keine Geschwister hätten, aber Tracy hatte Diego von einem Bruder erzählt. Eine der Schwestern log, aber welche? Welchen Grund konnte Tracy gehabt haben, Diego anzulügen, und welchen Grund hätte Chrissie gehabt, ihn anzulügen?
In diesem Augenblick nahm Bourne aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Der Mann, der vom Spieltisch aufgestanden war, ging in Richtung Bar, und nach zwei weiteren Schritten wusste Bourne, dass er direkt auf sie zukam.
Der Mann war zwar nicht übermäßig kräftig gebaut, doch er war trotzdem eine bemerkenswerte Erscheinung. Seine schwarzen Augen schienen zu glühen, sein Haar und der kurz geschnittene Bart waren ebenso schwarz. Er hatte eine Habichtnase, einen breiten Mund mit dicken Lippen und Wangen wie Betonplatten. Eine
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