Das Bourne Ultimatum
Boulevard oder einer bekannten Avenue, sondern in einer Sackgasse gegenüber einer seit langem geschlossenen Fabrik, deren abgeblätterte Schilder auf eine einst blühende Metallschmelze in einem der hässlichsten Stadtteile hinwiesen. Das Le Cœur du Soldat stand in keinem Telefonbuch. Der unschuldig fragende Fremde fand aber schließlich sein Ziel. Je verfallener die Gebäude und je übler die Straßen, umso genauer wurden die Angaben.
Bourne stand in der dunklen, engen Gasse und lehnte sich gegen die alte, rohe Backsteinmauer gegenüber vom Eingang eines Bistros. Über der dicken, massiven Tür befand sich ein Schild mit eckigen Blockbuchstaben, von denen einige fehlten: L C eur d Soldat. Wenn von Zeit zu Zeit die Tür aufging, schallte martialische Marschmusik auf die Gasse hinaus. Die Gäste waren keine Kandidaten für die feine Gesellschaft. Meine äußere Erscheinung ist perfekt, dachte Jason, als er ein Streichholz an der Mauer anriss, sich eine dünne schwarze Zigarre anzündete und über die Straße zum Eingang humpelte.
Von der Sprache und der ohrenbetäubenden Musik abgesehen, könnte es sich auch um eine Hafenkneipe in Palermo handeln, dachte Bourne, als er durch das Gewühl ins Innere der Bar vordrang. Seine blinzelnden Augen schweiften umher und versuchten, alles einzufangen, was er sah. Wann war er bloß auf Sizilien, in Palermo gewesen?
Ein untersetzter Mann im Hemd eines Panzerfahrers stieg von seinem Hocker, den Jason, ohne zu zögern, einnahm. Eine Eisenfaust packte ihn bei der Schulter. Bourne schlug mit der Rechten aufwärts, packte das Gelenk und drehte es im
Uhrzeigersinn, wobei er den Barhocker zur Seite stieß und aufstand.
»Was ist dein Problem?«, fragte er ruhig auf französisch und laut genug, um gehört zu werden.
»Das ist mein Platz, du Schwein! Ich muss nur pissen!«
»Wenn du fertig bist, dann muss ich vielleicht wieder gehen«, sagte Jason, und sein Blick bohrte sich in den Mann, wobei die Stärke seines Griffs unmissverständlich war - noch erhöht durch den Druck des Daumens auf einen Nerv, was nichts mit Stärke zu tun hatte.
»Oh, du bist ein verdammter Krüppel...!«, schrie der Mann und versuchte, nicht mit der Wimper zu zucken. »Mit Invaliden leg ich mich nicht an.«
»Ich sage dir was«, sagte Bourne und lockerte seinen Griff. »Wenn du zurückkommst, wechseln wir uns ab, und ich bezahl dir ein Glas, sooft du mich mit meinem blöden Bein sitzen lässt. In Ordnung?«
Der Mann begann zu grinsen. »He, du bist in Ordnung.«
»Ich bin nicht unbedingt in Ordnung, aber ich will bestimmt keinen Krach. Scheiße, du würdest mich in den Boden hämmern.«
Bourne ließ den Arm des muskulösen Mannes los.
»Da bin ich gar nicht so sicher«, sagte der Mann und hielt lachend sein Handgelenk. »Setz dich, setz dich! Ich geh pissen, und dann geb ich erst mal einen aus. Du siehst nicht aus, als hättest du allzu viele Francs in der Tasche.«
»Na ja, wie man sagt, der Schein kann trügen«, antwortete Jason und setzte sich. »Ich habe auch andere, bessere Klamotten. Ein alter Freund wollte sich mit mir hier treffen und meinte, ich sollte was Schlichtes tragen... Hab grade ganz gutes Geld in Afrika gemacht. Du weißt schon, die Wilden drillen...«
Die Zymbeln rasselten in der metallischen, betäubenden Militärmusik, als sich die Augen des Panzerhemdes weiteten. »Afrika? Wusste ich’s doch! Der Griff - LPN.«
Die Erinnerungsfetzen des Chamäleons verdichteten sich zu einem Kode: LPN - Légion Patria Nostra. Frankreichs Fremdenlegion, die Söldnertruppen der Welt. Es war nicht gerade
das, worauf er trainiert war, aber es würde ausreichen. »Lieber Gott, du auch?«, fragte er rau, aber unschuldig.
»Die Legion ist unser Vaterland!«
»Das ist verrückt!«
»Wir hauen damit nicht groß auf die Pauke. Natürlich nicht. Es gibt viel Eifersucht, natürlich, weil wir die Besten waren und dafür bezahlt wurden, aber dennoch sind das hier unsere Leute. Soldaten!«
»Wann hast du die Legion verlassen?«, fragte Bourne. Er musste aufpassen, dass er sich nicht auf Glatteis begab.
»Vor neun Jahren! Haben mich vor der zweiten Verlängerung wegen Übergewicht hinausgeworfen. Sie hatten Recht und haben dadurch wahrscheinlich mein Leben gerettet. Ich bin aus Belgien, Corporal.«
»Ich wurde vor einem Monat entlassen, bevor meine erste Zeit herum war. Verwundung in Angola und weil sie meinten, ich sei älter, als es in meinen Papieren steht. Sie bezahlen nicht für längere
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