Das Bourne Ultimatum
nicht!
Er begann zu laufen, und er lief immer weiter und lief und lief. Die Straße war nicht nur abgelegen, sie schien durchs Nirgendwo zu verlaufen. Es gab keine Anzeichen von Zivilisation, nicht einen Wagen, nicht ein Haus - nicht einmal die Ruinen eines alten Bauernhauses oder eines primitiven Steinwalls, der zumindest darauf hingedeutet hätte, dass irgendwann mal menschliche Wesen in der Gegend gewesen waren. Kilometer um Kilometer brachte er hinter sich, und Mo hatte gegen den Effekt der durch die Drogen bewirkten Erschöpfung zu kämpfen. Wie lange ist es schon her? Er hatte keine Ahnung, weder von der Stunde noch von der Zeit, die seit seiner Gefangennahme vor dem Walter-Reed-Krankenhaus vergangen war. Er musste ein Telefon finden. Er musste Alex Conklin erreichen! Irgendetwas musste passieren. Bald.
Tat es auch.
Er hörte das Herannahen eines Motors und drehte sich um. Ein roter Wagen kam von Süden herangerast - der Fahrer musste einen Bleifuß haben. Er begann wild mit den Armen zu winken, Gesten der Hilflosigkeit und des Appells. Nutzlos. Der Wagen donnerte an ihm vorbei, nur undeutlich zu erkennen... Dann war zu seiner freudigen Überraschung die Luft von quietschenden Bremsen und Staub erfüllt. Der Wagen hielt! Er lief los, als der Wagen mit aufheulenden Reifen zurücksetzte. Komischerweise erinnerte er sich in diesem Moment an die Worte, die ihm seine Mutter unablässig wiederholt hatte, als er noch ein Junge in der Bronx gewesen war: »Sage immer die Wahrheit, Morris. Es ist der Schild, den Gott uns gab, um uns auf dem rechten Weg zu halten.«
Panov hielt sich nicht immer an diese Ermahnung, aber zu Zeiten hatte er das Gefühl, dass sie einen sozial interaktiven Wert hatte. Außer Atem kam er an dem geöffneten Fenster
des roten Wagens an. Er sah die weibliche Fahrerin, eine Platinblonde Mitte dreißig mit stark geschminktem Gesicht und großen Brüsten, die ein Dekollete sehen ließ, das mehr zu einem drittklassigen Film als zu einer abgelegenen Landstraße in Maryland passte. Die Worte seiner Mutter im Ohr, sagte er: »Ich bin mir darüber im klaren, dass ich ziemlich schäbig aussehe, Madame, aber ich versichere Ihnen, dass es nur der äußerliche Eindruck ist. Ich bin Arzt und hatte einen Unfall.«
»Steigen Sie ein, um Himmels willen!«
»Ich danke Ihnen sehr.« Mo hatte kaum die Wagentür geschlossen, als die Frau schon den Gang einlegte und die Maschine aufs Äußerste hochjagte. »Sie sind offenbar sehr in Eile«, begann Panov.
»Das wären Sie auch, mein Freund, wenn Sie an meiner Stelle wären. Ich habe dort hinten einen Mann, der versucht, seine Karre in Gang zu bringen, und hinter meinem Arsch her ist!«
»Wirklich?«
»So ein verdammter Kerl! Drei Wochen im Monat fährt er über Land und vögelt, was ihm unterkommt, und macht dann einen Zirkus, wenn er herausfindet, dass auch ich ein bisschen Spaß hatte.«
»Tut mir Leid.«
»Es wird Ihnen noch viel mehr Leid tun, wenn er uns einholt.«
»Wie bitte?«
»Sind Sie wirklich Arzt?«
»Ja, bin ich.«
»Vielleicht können wir ein Geschäft miteinander machen.«
»Wie meinen Sie?«
»Können Sie eine Abtreibung machen?«
Morris Panov schloss die Augen.
22.
Bourne lief beinahe eine Stunde lang durch Paris und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Schließlich stand er an der Seine an der Pont de Solferino, die zum Quai des Tuileries und den Gärten führt. Warum, warum, warum? Was dachte sich Marie nur bei der Sache? Nach Paris zu fliegen! Es war nicht einfach dumm, es war völlig idiotisch - aber seine Frau war weder ein Dummkopf noch ein Idiot. Sie war eine großartige Frau mit einem schnellen, analytischen Verstand. Und gerade deswegen war ihre Entscheidung so unverständlich. Was mochte sie denn glauben, ausrichten zu können? Sie musste doch wissen, dass er viel sicherer war, wenn er allein arbeitete. Das Risiko würde für sie beide doppelt so groß sein, und das musste sie doch begreifen. Zahlen und Projektionen waren ihr Beruf. Warum also?
Es gab nur eine denkbare Antwort, und die machte ihn wütend. Sie glaubte, dass er wieder halb durchdrehen könnte wie damals in Hongkong, wo sie allein ihn wieder zu sich gebracht hatte, zurück in die Realität, seine so einmalige Realität aus erschreckenden halben Wahrheiten und nur vereinzelten Erinnerungsstücken, episodischen Augenblicken, mit denen sie jeden Tag ihres gemeinsamen Lebens zurechtkommen musste. Gott, wie er sie anbetete, wie er sie liebte! Und die Tatsache,
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