Das Bourne Ultimatum
wurden.
»Ja?«
»Ich weiß nicht, wie und warum, Genosse«, sagte Sergejs angespannte Stimme, »aber die Limousine des Botschafters ist gerade vor dem Gebäude vorgefahren. Ich schwöre Ihnen, ich habe keine Ahnung, was passiert ist!«
»Aber ich. Ich habe sie bestellt.«
»Aber die Botschaftsstandarten werden von jedermann zu sehen sein!«
»Ich hoffe, auch für einen aufmerksamen alten Mann in einem braunen Wagen. Wir sind gleich unten. Ende.« Krupkin wandte sich den anderen zu. »Der Wagen ist da, Gentlemen. Wo wollen wir uns treffen, Domie. Und wann?«
»Heute Nacht«, erwiderte die Lavier. »Es gibt eine Ausstellung in der Galerie d’Or in der Rue de Paradis. Der Künstler ist ein junger Emporkömmling, der ein Rockstar oder so was sein möchte, aber er ist der letzte Schrei, und alle werden da sein.«
»Dann heute Abend... Kommen Sie, Gentlemen. Entgegen unseren Instinkten müssen wir draußen auf dem Gehsteig gut zu sehen sein.«
Die Massen schoben sich durch die Lichtstrahlen, die Musik kam von einer ohrenbetäubenden Rockband, die man barmherzigerweise in einen Nebenraum abseits der Ausstellungsräume
platziert hatte. Hätten an den Wänden keine angestrahlten Gemälde gehangen, hätte man glauben können, in einer Diskothek und nicht in einer eleganten Pariser Kunstgalerie zu sein. Mit einigem Kopfnicken manövrierte Dominique Lavier Krupkin in eine Ecke des großen Raumes. Ihr würdevolles Lächeln, die hochgezogenen Augenbrauen und das zwischendurch gespielte Lachen verdeckten ihre Unterhaltung.
»Unter den alten Männern macht die Nachricht die Runde, dass der Monseigneur ein paar Tage fort sein wird. Allerdings sollen sie alle weiter nach dem großen Amerikaner und seinem verkrüppelten Freund Ausschau halten und melden, wo sie gesehen werden.«
»Du musst deinen Job gut gemacht haben.«
»Als ich die Information an ihn durchgab, war er vollkommen still. Allerdings hörte man in seinem Atmen abgrundtiefen Abscheu, der mir die Knochen gefrieren ließ.«
»Er ist auf dem Weg nach Moskau«, sagte der Russe. »Zweifellos über Prag.«
»Was willst du jetzt tun?«
Krupkin warf den Kopf in den Nacken und richtete die Augen mit einem falschen, stillen Lachen auf die Decke. Dann sah er sie wieder an und antwortete ihr lächelnd.
»Moskau.«
33.
Bryce Ogilvie, geschäftsführender Teilhaber von Ogilvie, Spofford, Crawford & Cohen, war stolz auf seine Selbstdisziplin. Damit meinte er nicht nur seine äußere Gelassenheit, sondern vor allem die kühle Ruhe, die er seinen tiefsten Ängsten in Krisenzeiten aufzuzwingen wusste. Als er jedoch vor kaum fünfzehn Minuten in sein Büro gekommen war und sein verstecktes Privattelefon geläutet hatte, hatte er den Stich einer bösen Vorahnung gespürt. Als er dann den schweren Akzent des sowjetischen Generalkonsuls von New York hörte, der umgehend eine Zusammenkunft verlangte, musste er sich das plötzliche leere Gefühl in seiner Brust eingestehen... und als der Russe ihn anwies - ihm befahl -, in einer Stunde im Carlyle Hotel, Suite Vier-C, zu sein, und nicht an ihrem üblichen Treffpunkt Ecke 32. Straße und Madison Avenue, spürte Bryce einen siedend heißen Schmerz, der diesen Leerraum in seiner Brust erfüllte. Und als er der Plötzlichkeit der bevorstehenden, außerplanmäßigen Besprechung vorsichtig widersprochen hatte, war der Schmerz in seiner Brust zu einem Feuer ausgebrochen, dessen Flammen bei der Erwiderung des Russen seine Kehle hinaufwanderten: »Was ich Ihnen zu zeigen habe, wird Sie inbrünstig wünschen lassen, dass wir uns niemals kennen gelernt hätten, geschweige denn einen Grund hätten, uns heute morgen zu treffen. Seien Sie da!«
Ogilvie lehnte sich in seiner Limousine zurück, so weit, wie die Polster sich zusammendrücken ließen, die Beine ausgestreckt, fest auf dem Teppichboden. Abstrakte, herumwirbelnde Gedanken an persönlichen Reichtum, Macht und Einfluss durchkreisten seinen Kopf. Er musste sich in den Griff bekommen! Schließlich war er Bryce Ogilvie, der Bryce Ogilvie, und auf der Überholspur der Körperschafts- und
Antitrustgesetze wahrscheinlich nur noch von Randolph Gates in Boston übertroffen.
Gates! Der bloße Gedanke an diesen Scheißkerl war eine willkommene Ablenkung. Medusa hatte den gefeierten Gates um einen kleinen Gefallen gebeten, einen irrelevanten, absolut akzeptablen Termin bei einer ad hoc einberufenen, regierungsorientierten Kommission, und er hatte ihre Anrufe nicht einmal beantwortet!
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