Das Bourne Ultimatum
Rohlederschnüre und eine kleine Drahtschere, falls er auf einen Zaun stoßen sollte. Die Automatic, die zur Ausrüstung jedes CIA-Agenten gehörte, war an seinem Gürtel befestigt. Die Dunkelheit kam, und Jason Bourne drang in das Gehölz ein.
Ein weißes Tuch aus Meeresschaum lag über dem Korallenriff, im Hintergrund schwebte das dunkelblaue Wasser der Karibischen See. Es war jene Stunde am frühen Abend kurz vor Sonnenuntergang, zu der Tranquility Island in heiße tropische Farben getaucht wurde, mit lang wachsenden Schatten beim Abtauchen der orangefarbenen Sonne. Der Erholungsbereich des Tranquility lnn war offenbar aus drei nahe beieinanderliegenden, mit Felsen bestreuten Hügeln herausgeschnitten worden, oberhalb einer langgezogenen Bucht, die von riesigen, natürlichen Quais aus Korallen eingefasst wurde. Zwei Reihen rosa Villen mit Balkons und hellroten Ziegeldächern erstreckten sich rechts und links des zentralen Gebäudes der Anlage, einem großen Rundbau aus Naturstein und Glas. Alle Gebäude hatten Blick auf das Wasser und waren untereinander durch Zementwege verbunden, die von niedrigen Hecken gerahmt und von Lampen gesäumt wurden. Kellner in gelben Jacketts schoben Speisewägelchen hin und her, brachten Flaschen, Eis und Häppchen zu den Gästen, von denen die meisten auf ihren Balkons saßen und das Ende des karibischen Tages genossen. Und als die Schatten bis zum Horizont reichten, erschienen unauffällig andere Leute am Strand und auf der langen Mole, die ins Meer hinausragte.
Diese Leute waren weder Gäste, noch gehörten sie zum Hotelpersonal, es waren bewaffnete Wachen, in dunkelbraune Uniformen gekleidet und - ganz unauffällig - mit einer MAC-10-MP im Gürtel. Auf der anderen Seite jeder Jacke waren Feldstecher befestigt, mit denen sie immer wieder die Dunkelheit absuchten. Der Besitzer des Tranquility Inn war fest entschlossen, dem Namen des Hotels gerecht zu werden.
Auf dem großen, kreisrunden Balkon der Villa, die dem Hauptgebäude und dem angebauten gläsernen Speisesaal am nächsten lag, saß eine ältere, kranke Dame in einem Rollstuhl und süffelte ein Glas Chäteau Carbonnieux, Jahrgang ’78, während sie die Großartigkeit des Sonnenuntergangs genoss. Geistesabwesend berührte sie die Locken ihrer unvollständig rot gefärbten Haare und horchte hinter sich. Sie lauschte der Stimme ihres Mannes, der drinnen mit der Krankenschwester sprach, dann seinen Schritten, als er zu ihr heraustrat.
»Mein Gott«, sagte sie auf französisch. »Ich kann es immer noch nicht fassen.«
»Ich selbst kann es kaum glauben«, sagte der Kurier des Schakals.
»Willst du mir immer noch nicht sagen, warum Monseigneur dich - uns - hierher geschickt hat?«
»Ich hab’s dir gesagt. Ich bin nur ein Bote.«
»Und ich glaube dir nicht.«
»Es ist wichtig für ihn und ohne Konsequenz für uns. Genieße es, mein Liebling.«
»So nennst du mich immer, wenn du nichts erklären willst.«
»Dann solltest du aus der Erfahrung lernen und nicht weiter nachfragen, oder?«
»Nein, mein Lieber. Ich werde sterben...«
»Davon wollen wir nicht mehr sprechen!«
»Trotzdem ist es wahr. Das kannst du nicht vor mir verheimlichen. Ich mache mir keine Sorgen um mich selbst, sondern um dich, Michel... nein, nein, du bist Jean Pierre. Ich darf das nicht vergessen... Dennoch muss ich mir Sorgen machen. Dieser Ort, dieses wunderbare Hotel, diese Aufmerksamkeit.
Ich glaube, du wirst einen furchtbaren Preis dafür bezahlen müssen, mein Lieber.«
»Warum sagst du das?«
»Es ist alles so großartig. Zu großartig. Irgendetwas stimmt nicht.«
»Du machst dir zu viele Sorgen.«
»Nein, nein, du betrügst dich selbst. Mein Bruder Claude hat immer gesagt, dass du zu viel von Monseigneur annimmst. Eines Tages wird er dir die Rechnung präsentieren.«
»Dein Bruder Claude ist ein lieber alter Mann mit Flausen im Kopf. Und deshalb gibt ihm der Monseigneur auch nur die unbedeutenden Aufträge. Schick ihn zum Montparnasse, um ein Papier zu holen, und er landet in Marseille, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen ist.« Das Telefon klingelte und unterbrach das Gespräch der beiden. Der alte Mann drehte sich um. »Unsere neue Freundin nimmt schon ab«, sagte er.
»Sie ist merkwürdig«, sagte seine Frau. »Ich traue ihr nicht.«
»Sie arbeitet für Monseigneur.«
»Wirklich?«
»Ich hatte noch keine Zeit, es dir zu sagen. Sie gibt Instruktionen an mich weiter.«
Die uniformierte Schwester, das hellbraune Haar streng nach
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