Das Bourne Ultimatum
nach ihrem Liebhaber. »Er hat sich erschossen, Eddie! 0 mein Gott, er hat sich getötet!«
Jason Bourne ging zur Tür. Ruhig schloss er sie, ohne seine beiden Gefangenen aus den Augen zu lassen. Die Frau weinte, nach Luft schnappend und zitternd, aber es waren keine Tränen des Kummers, sondern der Angst. Der Sergeant blinzelte und hob den schweren Kopf. Wenn in seinem Ausdruck irgendwelche Emotionen abzulesen waren, dann eine Mischung aus Wut und Verwirrung.
11.
»Nichts anfassen«, befahl Bourne, als Flannagan und Rachel Swayne zögernd in das mit Fotografien geschmückte Arbeitszimmer vorausgingen. Zusammengesackt lag die Leiche des alten Soldaten im Sessel hinter dem Schreibtisch, den Revolver noch in der ausgestreckten Hand. Beim Anblick des zur Hälfte weggerissenen Schädels verfiel die Frau in Zuckungen und sank in die Knie, als wollte sie sich übergeben. Der Sergeant ergriff ihren Arm, damit sie nicht umfiel, den Blick verstört auf die verstümmelten Überreste von General Norman Swayne gerichtet.
»Verrückter Hurensohn«, flüsterte Flannagan mit angestrengter, kaum hörbarer Stimme. Er stand regungslos da. Seine Kiefernmuskeln arbeiteten, und dann schrie er los. »Du blöder verdammter Hurensohn! Warum hast du das gemacht? Warum? Was sollen wir jetzt machen?«
»Sie rufen die Polizei, Sergeant«, antwortete Jason.
»Was?«, bellte der Adjutant und drehte sich um.
»Nein!«, schrie Mrs. Swayne und schnellte hoch. »Das können wir nicht tun!«
»Ich glaube nicht, dass Sie eine andere Wahl haben. Sie haben ihn nicht umgebracht. Vielleicht haben Sie ihn dazu getrieben, sich zu töten, aber es ist kein Mord.«
»Wovon sprecht ihr, zum Teufel?«, fragte Flannagan barsch.
»Besser eine einfache, beschissene, häusliche Tragödie als eine umfassende Untersuchung, meinen Sie nicht? Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass ihr beide eine Beziehung miteinander habt.«
»Er hat sich einen Scheiß um unsere Beziehung gekümmert, und ein Geheimnis war es wirklich nicht.«
»Er ermutigte uns sogar bei jeder sich bietenden Gelegenheit«, fügte Rachel Swayne hinzu, strich zögernd und unbeholfen
ihr Kleid glatt und gewann allmählich ihre Fassung wieder. Sie sprach zu Bourne, aber ihre Augen glitten zu ihrem Liebhaber. »Er trieb uns ständig einander in die Arme; es war eine Obsession von ihm... Müssen wir hier drinnen bleiben? Mein Gott, ich war mit diesem Mann sechsundzwanzig Jahre lang verheiratet! Ich bin sicher, dass Sie das verstehen... Es ist furchtbar für mich!«
»Wir müssen verschiedenes besprechen«, sagte Bourne.
»Nicht hier drinnen, bitte. Im Wohnzimmer, gegenüber. Wir sprechen dort.« Mrs. Swayne, die sich plötzlich wieder unter Kontrolle hatte, verließ das Arbeitszimmer, Flannagan warf noch einen Blick auf die blutüberströmte Leiche, zog eine Grimasse und folgte der Frau.
Jason beobachtete sie. »Bleiben Sie in der Diele stehen, damit ich Sie sehen kann, und bewegen Sie sich nicht!«, rief er, ging zum Tisch, und seine Augen schossen von einem Gegenstand zum andern, um zu erfassen, was Norman Swayne gesehen hatte, bevor er sich die Automatic in den Mund steckte. Irgendetwas stimmte nicht. Auf der rechten Seite der großen grünen Schreibtischunterlage lag Pentagon-Briefpapier, auf dem unter den Insignien der US-Armee Swaynes Rang und Name aufgedruckt waren. Links neben der Unterlage lag ein goldener Kugelschreiber, dessen Silberspitze hervorstand, als wäre er gerade benutzt worden und der Schreiber hätte vergessen, ihn zurückzuschrauben. Bourne beugte sich über den Tisch, wenige Zentimeter neben dem Toten, den scharfen Geruch der Patrone und des verbrannten Fleisches in der Nase, und studierte den Notizblock. Er war unbeschrieben, aber Jason trennte vorsichtig die oberen Blätter ab, faltete sie und steckte sie in seine Hosentasche. Er tat einen Schritt zurück, immer noch unsicher... Was war es nur? Er sah im Zimmer umher, und als er seine Augen über die Möbel streifen ließ, trat Sergeant Flannagan in die Tür.
»Was machen Sie?«, fragte Flannagan. »Wir warten auf Sie.«
»Ihre Freundin kann es hier drinnen vielleicht nicht aushalten, ich schon. Es geht nicht anders.«
»Ich dachte, man sollte nichts anfassen.«
»Sich umsehen bedeutet nicht, etwas anzufassen, Sergeant. Außer man entfernt etwas, dann weiß niemand, ob es angefasst wurde, weil es nicht mehr da ist.« Bourne lief plötzlich zu einem Tischchen aus gehämmertem Messing, wie man sie im Orient auf jedem
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