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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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im Einkaufszentrum Mammut vorgestellt hatte. Sie war nicht nett und ordentlich, nicht rational wie eine mathematische Gleichung. Die reale Welt war chaotisch, Rationalität war nur das System, das die Menschen zufälligen Ereignissen zu oktroyieren versuchten, um sie geordnet erscheinen zu lassen. Sein Wutanfall hatte nicht dem Hoteldirektor gegolten, das erkannte er jetzt ziemlich schockiert, sondern – Chan. Er hatte ihn beschattet, ihm zugesetzt und ihn schließlich reingelegt.
    Bourne wünschte sich nichts mehr, als dieses Gesicht in den Staub zu drücken, um es aus seiner Erinnerung zu tilgen.
    Beim Anblick des Buddhas war vor seinem inneren
    Auge wieder sein vierjähriger Joshua aufgetaucht. Über Saigon sank der Abend herab, der Himmel war safrangelb und grün-golden. Joshua kam aus dem Haus am Fluss gelaufen, als David Webb aus dem Büro heimkam.
    Webb schloss den Kleinen in die Arme, schwenkte ihn im Kreis herum und küsste ihn auf die Wangen, obwohl der Junge sich dagegenstemmte. Er ließ sich nie gern von seinem Vater küssen.
    Jetzt sah Bourne seinen kleinen Sohn abends im Bett liegen. Zikaden und Baumfrösche ließen ihre Stimmen hören, und die Lichter vorbeifahrender Boote wurden von der Wand gegenüber dem Fenster zurückgeworfen.
    Joshua hörte zu, als Webb ihm eine Geschichte vorlas.
    Jeden Samstagmorgen spielte Webb mit Joshua Fangball, wofür er einen Baseball benützte, den er bis aus Amerika mitgebracht hatte. Der Widerschein der Lichter glitt über Joshuas unschuldiges Kindergesicht und ließ es sanft leuchten.
    Bourne blinzelte und sah nun gegen seinen Willen den aus Stein geschnittenen kleinen Buddha, den Chan an einer Kette um den Hals trug. Er sprang auf und wischte mit einem gutturalen Schrei, aus dem tiefste Verzweiflung sprach, Tischlampe, Schreibunterlage, Briefmappe und Kristallascher von dem Schreibtisch im Schlafzimmer. Mit zu Fäusten geballten Händen schlug er sich mehrmals an den Kopf. Verzweifelt aufstöhnend sank er auf die Knie und wiegte sich in dieser Haltung vor und zurück. Erst das Klingeln des Telefons brachte ihn wieder zu sich.
    Mit brutaler Gewalt zwang er sich dazu, wieder klar zu denken. Das Telefon klingelte weiter, und er empfand einen Augenblick lang den Drang, es klingeln zu lassen.
    Stattdessen nahm er den Hörer ab. »Hier ist János Vadas«, flüsterte eine heisere Raucherstimme. »Matthiaskirche. Mitternacht, keinen Augenblick später.« Dann wurde aufgelegt, bevor Bourne ein Wort sagen konnte.
    Als Chan erfuhr, dass Jason Bourne tot war, hatte er das Gefühl, sein Inneres sei nach außen gekehrt worden, sodass alle seine Nerven für einen Moment der ätzenden Außenluft ausgesetzt waren. Er berührte seine Stirn mit dem Handrücken, war sich sicher, von innen heraus zu verbrennen.
    Er war auf dem Flughafen Orly, wo er mit Beamten
    der Sûreté Nationale sprach. Informationen von ihnen zu erhalten war lachhaft einfach. Mit einem Presseausweis, den sein Pariser Kontaktmann ihm – für einen unanständig hohen Preis – besorgt hatte, gab Chan sich als Reporter der hiesigen Zeitung Le Monde aus. Allerdings spielte Geld für ihn keine Rolle. Er besaß mehr, als er sinnvoll ausgeben konnte, aber die Warterei auf den Presseausweis hatte ihn nervös gemacht. Als die Minuten zu Stunden wurden, der Nachmittag in den Abend überging, hatte er erkannt, dass er mit seiner berühmten Geduld am Ende war. In dem Augenblick, in dem er David Webb – Jason Bourne – gesehen hatte, war die Zeit umgekrempelt worden: Die Vergangenheit war zur Gegenwart geworden. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und er spürte seinen Puls in den Schläfen hämmern.
    Zum wievielten Mal seit seiner ersten Begegnung mit Bourne hatte er das Gefühl, den Verstand zu verlieren?
    Den absolut schlimmsten Augenblick hatte er durchlitten, als er in der Altstadt von Alexandria neben ihm auf einer Parkbank gesessen und mit ihm gesprochen hatte, als stünde nichts zwischen ihnen, als sei die Vergangenheit eine belanglos gewordene akademische Frage, als gehöre sie zum Leben eines anderen, den Chan sich nur eingebildet hatte. Das Irreale dieses Augenblicks, von dem er jahrelang geträumt, den er herbeigesehnt hatte, hatte ihn aller Substanz beraubt mit dem Gefühl zurückgelassen, alle Nerven seines Körpers seien wund gerieben.
    Sämtliche Emotionen, die er über Jahre hinweg zu zügeln und zu unterdrücken versucht hatte, hatten rebelliert, waren an die Oberfläche aufgestiegen, hatten Übelkeit

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