Das Bourne-Vermächtnis
so trickreich geführt hatte, oder er würde sich dazu zwingen, in Schmerzen zu erlöschen.
Molnars Körper zitterte unter dem Sturm aus Emotionen, den das Verhör ausgelöst hatte. Nach einiger Zeit ließ er den Kopf zurücksinken. Sein Gesicht war grau und erschreckend abgehärmt; seine Augen, die weiter von Tränen glänzten, schienen noch tiefer in ihre Höhlen gesunken zu sein. Nichts erinnerte mehr an den lebhaften, leicht beschwipsten Opernliebhaber, den Spalkos Männer im Underground betäubt hatten. Er war wie
verwandelt. Er war restlos erschöpft.
»Gott verzeih mir«, flüsterte er heiser. »Dr. Schiffer ist auf Kreta.« Er brabbelte eine Adresse.
»Braver Junge«, sagte Spalko leise. Damit war das Puzzlespiel endlich vollständig. Heute Abend würden seine »Mitarbeiter« und er nach Kreta fliegen, um Felix Schiffer zu entführen und ihm die Informationen zu entlocken, die sie noch brauchten, um ihren Anschlag auf das Hotel Oskjuhlid durchführen zu können.
Molnar gab einen animalischen kleinen Laut von sich, als Spalko das Folterwerkzeug fallen ließ. Er verdrehte seine blutunterlaufenen Augen und war dicht davor, erneut in Tränen auszubrechen.
Langsam, fast zärtlich setzte Spalko den Becher an Molnars Lippen und beobachtete desinteressiert, wie er gierig den heißen, süßen Kaffee trank. »Endlich erlöst.«
Ob er mit Molnar oder sich selbst sprach, blieb unklar.
Kapitel dreizehn
Nachts glich das Parlamentsgebäude in Budapest einem großen ungarischen Bollwerk gegen die wilden Horden, die in der Vergangenheit über das Land hereingebrochen waren. Dem durchschnittlichen Touristen, der wegen der Größe und Schönheit des Bauwerks von Ehrfurcht ergriffen war, erschien es solide, zeitlos, unantastbar. Aber Jason Bourne, der vor kurzem nach anstrengender Reise von Washington, D.C. über Paris in Budapest angekommen war, erschien es nur als ein fantastischer Bau, der geradewegs aus einem Märchenbuch hätte stammen können: ein Gebilde aus überirdisch weißem Stein und blassgrünem Kupfer, das bei einsetzender Dunkelheit jederzeit einstürzen konnte.
Bourne war in trüber Stimmung, als das Taxi ihn am Moszkva tér in der Nähe der beleuchteten Kuppel des Einkaufszentrums Mammut absetzte, in dem er sich neu einkleiden wollte. Als der französische Militärkurier Pierre Montefort war er bei der Einreise an der ungarischen Pass- und Zollkontrolle durchgewinkt worden. Aber er musste seine Uniform, die Robbinet ihm besorgt hatte, loswerden, bevor er im Hotel Danubius als Alex Conklin auftreten konnte.
Er kaufte eine Cordsamthose, ein Baumwollhemd von Sea Island und einen schwarzen Pullover mit rundem Halsausschnitt, schwarze Stiefel mit dünnen Sohlen und eine Bomberjacke aus schwarzem Leder. Während er
durch die Geschäfte und die Ladenpassagen mit dem Gedränge der Kauflustigen streifte, absorbierte er allmählich ihre Energie und fühlte sich erstmals seit Tagen wieder als der Alltagsweit zugehörig. Er erkannte, dass sein jäher Stimmungsumschwung daher rührte, dass er das Rätsel Chan gelöst hatte. Natürlich war er nicht Joshua; er war nur ein genialer Hochstapler. Irgendein unbekanntes Wesen – Chan selbst oder seine Auftraggeber –, hatte es auf ihn abgesehen, wollte ihm einen solchen Schrecken einjagen, dass er sich nicht mehr konzentrieren konnte und die Ermordung von Alex Conklin und Mo Panov für belanglos hielt. Konnten sie ihn nicht beseitigen, konnten sie zumindest erreichen, dass er sich mit der vergeblichen Suche nach seinem Phantomsohn verzettelte. Woher
Chan oder seine Auftraggeber überhaupt von Joshua wussten, war eine weitere Frage, auf die er eine Antwort suchte. Aber seit er den anfänglichen Schock nun auf ein rationales Problem reduziert hatte, konnte sein überragender logischer Verstand das Problem in seine Bestandteile zerlegen, woraus dann ein Angriffsplan entstehen würde.
Bourne brauchte Informationen, die nur Chan liefern konnte. Er musste den Spieß umdrehen und Chan in eine Falle locken. Der erste Schritt dazu war, dass er Chan wissen ließ, wo er sich aufhielt. Er bezweifelte nicht, dass Chan, der den Bestimmungsort des Frachtflugzeugs gekannt hatte, jetzt in Paris war. Chan konnte sogar von seinem »Unfalltod« auf der A1 gehört haben. Tatsächlich war er nach allem, war Bourne von ihm wusste, genau so ein Chamäleon wie er selbst. An seiner Stelle hätte Bourne als Erstes versucht, Erkundigungen bei der Sûreté Nationale einzuziehen.
Zwanzig
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