Das Bourne-Vermächtnis
entdecken, nicht wahr, gefährlich dicht davor, herauszubekommen, dass Spalko ihm den Doppelmord angehängt hat. Das hatte ich ihm bereits gesagt, aber offensichtlich will er mir kein Wort glauben.«
»Warum auch? Für ihn besitzt du keinerlei Glaubwürdigkeit. Seiner Überzeugung nach bist du Teil einer gro
ßen Verschwörung mit dem Ziel, ihn zu manipulieren.«
Chans Hand schoss über die Vordersitzlehne und
packte mit stählernem Griff ihren Arm, der sich langsam bewegt hatte, während sie gesprochen hatte. »Lass das!«
Er griff sich ihre Umhängetasche, klappte sie auf und nahm die Pistole heraus. »Du hast schon mal versucht, mich umzubringen. Eine zweite Chance bekommst du
nicht, darauf kannst du Gift nehmen.«
Sie starrte sein Spiegelbild an. In ihrem Inneren lagen Emotionen im Widerstreit. »Du glaubst, dass ich dich belüge, was Jason angeht, aber das stimmt nicht.«
»Mich würde nur interessieren«, sagte er leichthin, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, »wie du ihm eingeredet hast, du hättest deinen Vater geliebt, obwohl du ihn in Wirklichkeit gehasst hast.«
Sie saß stumm da, atmete langsam und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie wusste, dass sie sich in äußerst gefährlicher Lage befand. Die Frage war nur, wie sie sich daraus befreien sollte.
»Wie du gejubelt haben musst, als er erschossen wurde!«, fuhr Chan fort. »Aber wie ich dich kenne, hast du dir vermutlich gewünscht, du hättest ihn selbst umlegen dürfen.«
»Willst du mich liquidieren?«, wehrte sie mit gepresster Stimme ab. »Dann tu’s gleich, und erspar mir dein Geschwätz.«
Wie eine zustoßende Kobra schlossen seine Hände
sich so blitzschnell um ihren Hals, dass sie erstmals besorgt wirkte, worauf er’s schließlich abgesehen hatte. »Ich habe nicht vor, dir irgendwas zu ersparen, Annaka. Was hast du mir erspart, als du Gelegenheit dazu hattest?«
»Ich habe nicht gedacht, dass ich dich mal verhätscheln müsste.«
»Du hast selten gedacht, als wir zusammen waren«, sagte er, »zumindest nicht an mich.«
Ihr Lächeln war kalt. »Oh, ich habe ständig an dich gedacht.«
»Und du hast jeden dieser Gedanken Stepan Spalko
weitererzählt.« Seine Hände packten fester zu, rissen ihren Kopf nach hinten. »Stimmt das etwa nicht?«
»Wieso fragst du, wenn du die Antwort schon weißt?«, sagte sie leicht außer Atem.
»Seit wann hat er mit mir gespielt?«
Annaka schloss kurz die Augen. »Von Anfang an.«
Chan knirschte vor Wut mit den Zähnen. »Was bezweckt er damit? Was will er von mir?«
»Das weiß ich nicht.« Sie keuchte, weil seine Hände so fest zudrückten, dass sie ihr die Luft abschnürten. Als er seinen Griff wieder etwas lockerte, sagte sie mit schwacher Stimme: »Auch wenn du mir noch so wehtust, du bekommst immer dieselbe Antwort, weil das die Wahrheit ist.«
»Die Wahrheit!« Chan lachte verächtlich. »Du würdest die Wahrheit nicht erkennen, wenn sie dich bisse.«
Trotzdem glaubte er ihr und war von ihrer Unbrauchbarkeit angewidert. »Was hast du mit Bourne zu schaffen?«
»Ich soll ihn von Stepan fern halten.«
Er nickte, weil er sich an sein Gespräch mit Spalko erinnerte. »Das klingt plausibel.«
Diese Lüge war ihr leicht über die Lippen gekommen.
Sie klang nicht nur wahr, weil Annaka lebenslange Übung als Lügnerin hatte, sondern weil das bis zu ihrem letzten Telefongespräch mit Spalko die Wahrheit gewesen war.
Spalkos Pläne hatten sich geändert, und nachdem sie nun Zeit gehabt hatte, über diese Sache nachzudenken, passte es zu ihrem neuen Auftrag, Chan das mitzuteilen. Vielleicht war es sogar günstig, dass er ihr hier aufgelauert hatte – aber nur wenn sie’s schaffte, diese Begegnung lebend zu überstehen.
»Wo ist Spalko jetzt?«, wollte er wissen. »Hier in Budapest?«
»Er ist auf dem Rückflug aus Nairobi.«
Chan war überrascht. »Was hat er in Nairobi gemacht?«
Sie lachte, aber da seine Finger ihr weiter schmerzhaft den Hals zudrückten, klang das mehr wie ein trockenes Röcheln. »Glaubst du wirklich, dass er mir das erzählen würde? Du weißt doch, wie geheimnistuerisch er ist.«
Er legte seine Lippen an ihr Ohr. »Ich weiß, wie geheimnistuerisch wir waren, Annaka – nur sind unsere Geheimnisse ausgeplaudert worden, stimmt’s?«
Ihre Augen suchten seine im Rückspiegel. »Ich habe ihm nicht alles erzählt.« Wie eigenartig es war, ihn nicht direkt ansehen zu können. »Manche Dinge habe ich für mich behalten.«
Chans Lippen kräuselten sich
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