Das Bourne-Vermächtnis
Name des Gesuchten?«
McColl zog den CIA-Steckbrief aus der Tasche, strich ihn glatt und legte ihn dem Bankier hin.
Der Filialleiter rückte seine Brille zurecht und überflog den Text. »Ah ja, Jason Bourne. Sein Gesicht kenne ich aus CNN.« Er sah über die goldgeränderte Brille hinweg.
»Sie nehmen an, dass er in Budapest ist?«
»Er ist eindeutig hier gesehen worden.«
Der andere schob den Steckbrief beiseite. »Und womit kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Er ist in Begleitung Ihrer Kundin Annaka Vadas gesehen worden.«
»Tatsächlich?« Der Bankier beugte sich nach vorn.
»Ihr Vater ist ermordet worden – vor zwei Tagen erschossen. Glauben Sie, dass der Flüchtige auch ihn auf dem Gewissen hat?«
»Das ist durchaus möglich.« McColl hatte ziemliche Mühe, seine Ungeduld zu beherrschen. »Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie feststellen könnten, ob Frau Vadas in den vergangenen vierundzwanzig Stunden an einem Automaten Geld abgehoben hat.«
»Ja, ich verstehe.« Der Filialleiter nickte weise. »Der Flüchtige braucht Geld. Er könnte sie gezwungen haben, welches für ihn abzuheben.«
»Genau.« McColl war bereit, jeder Theorie zuzustimmen, wenn der Kerl nur endlich in die Gänge kam.
Der Bankier drehte sich mit dem Stuhl zur Seite und zog seine Computertastatur zu sich heran. »Sehen wir also mal nach. Ah, da haben wir sie schon … Annaka Vadas.« Er schüttelte den Kopf. »Solch eine Tragödie. Und jetzt auch noch das.«
Er starrte auf den Bildschirm, als ein Piepston ertönte.
»Sie haben richtig vermutet, Mr. McColl. Annaka Vadas’
PIN ist vor weniger als einer halben Stunde an einem Geldautomaten benützt worden.«
»Adresse?«, fragte McColl gespannt nach vorn gebeugt.
Der Filialleiter schrieb sie auf einen Notizzettel, den er McColl gab, der mit einem über die Schulter hingeworfenen »Danke!« aufsprang und hinauseilte.
Unten am Empfang ließ Bourne sich von dem Portier den Weg zum nächsten Internetcafé erklären. Dann ging er die zwölf Straßen weit zum AMI Internet Café im Gebäude 40 Vaci utca. Drinnen war es rauchig und laut; Leute sa
ßen an Computerstationen und rauchten, während sie E-Mails lasen, recherchierten oder einfach im Web surften. Bourne bestellte einen doppelten Espresso und ein Butterhörnchen bei einer jungen Frau mit Igelfrisur, die ihm einen Zettel mit Zeitstempel und der Nummer seiner Station gab und ihn zu einem Computer schickte, der bereits ins Internet eingeloggt war.
Er setzte sich hin und begann seine Arbeit. Ins »Suche«
Feld tippte er den Namen von Dr. Schiffers früherem Partner Peter Sido ein, erzielte aber keinen Treffer. Allein das war merkwürdig und verdächtig zugleich. War Sido ein einigermaßen guter Wissenschaftler – was er sein musste, wenn er mit Felix Schiffer zusammengearbeitet hatte –, dann musste sein Name irgendwo im Web auftauchen.
Dass das nicht der Fall war, legte die Vermutung nahe, dass seine »Abwesenheit« Absicht war. Also würde Bourne es mit einer anderen Route versuchen müssen.
Irgendetwas an dem Namen Sido kam seinem Linguistenverstand bekannt vor. Kam der Name aus dem Russischen? Aus einer anderen slawischen Sprache? Er forschte nach, wurde jedoch nicht fündig. Einer Eingebung folgend wechselte er zu Ungarisch über und fand ihn prompt.
Wie sich herausstellte, bedeuteten ungarische Familiennamen – die im Ungarischen Beinamen hießen – fast immer etwas. Sie konnten zum Beispiel patronymisch sein, also auf dem Namen des Vaters basieren, oder einen Ort bezeichnen, aus dem der Betreffende kam. Der Familienname konnte auch Auskunft über seinen Beruf geben
– so bedeutete Vadas beispielsweise »Jäger«. Oder er gab an, was jemand war. Sido war das ungarische Wort für
»Jude«.
Peter Sido war also Ungar, genau wie Vadas einer gewesen war. Conklin hatte mit Vadas zusammengearbeitet.
Zufall? Bourne glaubte nicht an Zufälle. Hier gab es eine Verbindung, das witterte er. Daraus folgte die nächste Überlegung: Die besten Kliniken und Forschungseinrichtungen Ungarns waren in Budapest konzentriert. Konnte Sido hier sein?
Bournes Hände flogen über die Tastatur, um das Budapester Online-Telefonbuch aufzurufen. Und darin fand er einen Dr. Peter Sido. Er notierte sich Telefonnummer und Adresse, meldete sich ab, bezahlte für die am Computer verbrachte Zeit und nahm seinen Espresso und das Hörnchen mit ins eigentliche Café hinüber, in dem er einen Ecktisch für sich allein hatte. Er kostete einen Schluck
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