Das Bourne-Vermächtnis
Annaka, sodass sein Körper sich zwischen Chan und ihr befand. Was hatte Chan vor?
Wollte er sie umlegen oder nur abfangen? Erwartete er etwa, dass Bourne ihm alles erzählen würde, was er über Felix Schiffer und seinen biochemischen Diffusor in Erfahrung gebracht hatte? Aber nein, Chans Gesichtsausdruck ließ auf etwas anderes schließen – auf nüchterne Berechnung, deren Hintergründe Bourne unklar blieben.
»Hör mir zu!«, sagte Chan, der Mühe hatte, sich in dem allgemeinen Tumult verständlich machen. »Bourne, du musst mir zuhören!«
Aber Bourne, der Annaka vor sich herstieß, hatte inzwischen die Stahltür erreicht, er riss sie auf und stürmte auf die Zufahrt hinter der Klinik hinaus, auf der ein Notarztwagen parkte. Vor dem Fahrzeug standen sechs mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer. Bourne erfasste augenblicklich, dass dies eine Falle war, er warf sich instinktiv herum und rief Chan, der ihnen folgte, eine Warnung zu.
Annaka, die sich ebenfalls umdrehte, sah Chan endlich und befahl zwei Männern, das Feuer zu eröffnen. Aber Chan hatte Bournes Warnung gehört und sprang im
letzten Augenblick zur Seite, bevor ein Kugelhagel die Männer vom Sicherheitsdienst, die inzwischen heran waren, ummähte. Jetzt brach in der Klinik wirklich Panik aus, und das Personal flüchtete kreischend und schreiend durch die Schwingtüren und den Korridor entlang in Richtung Eingangshalle.
Zwei Männer packten Bourne von hinten.
»Findet ihn!«, hörte er Annaka kreischen. »Findet Chan und legt ihn um!«
»Annaka, was …«
Bourne beobachtete sprachlos, wie die beiden Männer, die bereits geschossen hatten, an ihm vorbeirannten und über die von Kugeln durchsiebten Leichen sprangen.
»Vorsicht«, sagte Annaka warnend. »Er hat eine Pistole!«
Einer der Männer fesselte Bourne die Hände auf dem Rücken, während ein anderer ihn nach Waffen abtastete. Bourne riss sich los, warf sich herum und traf den zweiten Mann mit einem Kopfstoß, der ihm das Nasenbein brach. Blut spritzte, und der Mann schlug mit einem Aufschrei die Hände vors Gesicht und wich zurück.
»Verdammt, was machst du?«
Nun trat Annaka mit einer Maschinenpistole bewaffnet auf Bourne zu und rammte ihm den massiven Kolben in die Rippen. Er krümmte sich nach Luft schnappend zusammen und verlor das Gleichgewicht. Seine Knie waren weich wie aus Gummi, und die Schmerzen, die ihn peinigten, waren im Augenblick unerträglich. Die Faust eines Mannes krachte an seine Schläfe. Bourne klappte zusammen.
Die beiden Männer kamen von ihrer Erkundung in
der Klinik zurück. »Keine Spur von ihm«, meldeten sie Annaka.
»Macht nichts«, sagte sie und deutete auf den Mann, der sich vor ihr auf dem Boden wand. »Schafft ihn in den Wagen. Beeilung!«
Bevor die anderen reagieren konnten, war der Mann mit dem gebrochenen Nasenbein heran. Er kauerte neben Bourne nieder, setzte ihm seinen Revolver an die Schläfe. Aus seinen Augen blitzte Wut, und er schien abdrücken zu wollen.
»Weg mit der Waffe«, sagte Annaka ruhig, aber energisch. »Wir sollen ihn lebend abliefern.« Sie starrte ihn an, ohne einen Muskel zu bewegen. »Befehl von Spalko.
Das weißt du.« Endlich nahm der Mann den Revolver weg.
»Los jetzt!«, befahl sie. »In den Wagen mit ihm!«
Bourne starrte sie an. Wegen ihres Verrats kochte er innerlich vor Wut.
Annaka feixte, als sie eine Hand ausstreckte. Einer der Männer gab ihr eine Injektionsspritze, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. Mit raschen, sicheren Bewegungen spritzte sie Bourne das Betäubungsmittel intravenös, und er merkte, wie sein Blick allmählich verschwamm.
Kapitel fünfundzwanzig
Hassan Arsenow hatte Sina die Zuständigkeit für das Erscheinungsbild des Teams übertragen, als sei sie die Maskenbildnerin eines Filmstudios. Sie nahm den Auftrag ernst, wie sie jede Arbeit ernst nahm – aber nicht ohne ein heimliches zynisches Kichern. Wie ein Planet zu seiner Sonne gehörte sie jetzt zu dem Scheich. Ihrem Wesen entsprechend war sie mental und emotional aus Hassans Einflussbereich ausgeschert. Das hatte in jener Nacht in Budapest begonnen – obwohl die Anfänge viel weiter zurückliegen mussten – und war unter der heißen kretischen Sonne zur Vollendung gereift.
An ihre gemeinsame Zeit auf der Ägäisinsel klammerte Sina sich, als sei das ihre eigene private Legende, die sie nur mit ihm teilte. Sie waren … wer? … Theseus und Ariadne gewesen. Der Scheich hatte ihr die Sage vom schrecklichen Leben und
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