Das Bourne-Vermächtnis
wird. Seine geschlossenen Beine waren an den Knien um exakt neunzig Grad abgewinkelt. Auf dem
Schoß hatte er einen langen polierten Kasten aus stark gemasertem Bubinga -Holz, den er jetzt fast verlegen Spalko hinhielt. »Mit von Herzen kommenden Segenswünschen des kenianischen Volkes, Sir.«
»Danke, Mr. President. Zu gütig von Ihnen«, sagte Spalko liebenswürdig.
»Die Güte liegt ganz auf Ihrer Seite, Sir.« Jomo beobachtete sichtlich gespannt, wie Spalko den Deckel aufklappte. Der Holzkasten enthielt ein Messer mit flacher Klinge und einen mehr oder weniger ovalen Stein, der oben und unten abgeflacht war.
»O Gott, das ist doch nicht etwa ein Githathi -Stein?«
»Das ist in der Tat einer, Sir«, bestätigte Jomo sichtlich entzückt. »Aus meinem Heimatdorf, von dem kiama , dem ich nach wie vor angehöre.«
Spalko wusste, dass Jomo von dem Ältestenrat sprach.
Der githathi war für alle Stammesangehörigen von gro
ßem Wert. Gab es in der Ratsversammlung Streit, der nicht anders geschlichtet werden konnte, wurde auf diesen Stein ein Eid geleistet. Spalkos Hand umfasste den aus Karneol geschnitzten Griff des Messers, das ebenfalls ein Ritualgegenstand war. Bei Auseinandersetzungen, in denen es um Leben und Tod ging, wurde die im Feuer erhitzte Messerklinge auf die Zungen der Kontrahenten gelegt. Das Ausmaß der Blasenbildung auf ihren Zungen entschied, wer schuldig und wer unschuldig war.
»Ich frage mich allerdings, Mr. President«, sagte Spalko in leicht verschmitztem Tonfall, »ob der githathi von Ihrem kiama oder Ihrem njama stammt.«
Jomos Lachen war ein Rumpeln tief in seiner Kehle, das seine kleinen Ohren beben ließ. Heutzutage hatte er so selten Grund zum Lachen. Er konnte sich daran erinnern, was der letzte Anlass gewesen war. »Sie haben also von unseren geheimen Ratsversammlungen gehört, Sir?
Ihre Kenntnis unserer Gebräuche und Überlieferungen ist in der Tat erstaunlich, das muss ich schon sagen.«
»Die Geschichte Kenias ist lang und blutig, Mr. President. Meiner Überzeugung nach können wir aus der Geschichte alle unsere wichtigsten Lehren ziehen.«
Jomo nickte. »Darin stimme ich Ihnen zu, Sir. Und ich fühle mich verpflichtet, erneut zu betonen, dass ich mir nicht vorstellen mag, in welchem Zustand mein Land sich ohne Ihre Ärzte und Ihre Impfstoffe befände.«
»Gegen Aids gibt’s keinen Impfstoff.« Spalkos Tonfall war sanft, aber bestimmt. »Die moderne Medizin kann das Leiden und Sterben von Aidskranken mit Medikamentencocktails lindern, aber gegen die Ausbreitung der Krankheit helfen nur sexuelle Enthaltsamkeit oder die konsequente Anwendung von Kondomen.«
»Natürlich, natürlich.« Jomo tupfte sich mit seinem Taschentuch die Lippen ab. Ihm widerstrebte es, als Bittsteller zu diesem Mann zu kommen, der allen Kenianern bereits so großzügig geholfen hatte, aber was blieb ihm anderes übrig? Die Aids-Epidemie verwüstete das Land.
Seine Landsleute litten und starben. »Was wir brauchen, Sir, sind noch mehr Medikamente. Sie haben schon viel getan, um die Leiden meines Volkes zu lindern. Aber es gibt noch viele Tausende, die auf Ihre Hilfe warten.«
»Mr. President.« Der Gastgeber beugte sich nach vorn, und Jomo folgte seinem Beispiel. Spalkos Kopf befand sich jetzt in dem durch die hohen Fenster einfallenden Sonnenlicht, das ihn mit einer fast übernatürlichen Gloriole umgab. Das Licht hob auch die porenlos glänzende Haut hervor, die seine linke Gesichtshälfte bedeckte. Die Vorführung seiner Entstellung diente dazu, bei Jomo einen leichten Schock auszulösen, um ihn von seinem geplanten Kurs abzubringen. »Humanistas, Ltd. ist bereit, doppelt so viele Ärzte wie bisher nach Kenia zu entsenden und die Medikamentenlieferungen zu verdoppeln.
Aber Sie – Regierung und Verwaltung – müssen Ihren Teil dazu beitragen.«
Dies war der Augenblick, in dem Jomo erkannte, dass Spalko etwas ganz anderes von ihm verlangte als die Förderung von Safer-Sex-Vorträgen und die Verteilung von Kondomen. Er setzte sich ruckartig auf und schickte seine beiden Leibwächter mit einer Handbewegung hinaus. Als die Tür sich hinter ihnen geschlossen hatte, sagte er: »In unseren gefährlichen Zeiten leider unverzichtbar, Sir, aber trotzdem ist man’s manchmal leid, nie allein zu sein.«
Spalko lächelte. Seine Kenntnis der Geschichte Kenias und der dortigen Stammessitten machte es ihm unmöglich, den Präsidenten so wenig ernst zu nehmen, wie es andere vielleicht getan hätten. Jomo
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