Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
Vom Netzwerk:
Ungerechtigkeiten, das wusste er – in jeder nur vorstellbaren Größenordnung.
    Ihm erschien es seltsam und ein wenig pervers, dass Menschen sich über großes Unrecht aufregen konnten, während sie die kleinen Ungerechtigkeiten, unter denen viele täglich zu leiden hatten, geflissentlich übersahen.
    Sina hatte Seite an Seite mit den Männern gekämpft; weshalb sollte sie also nicht auch einen Trinkspruch ausbringen dürfen? Sie kochte vor Wut; das gefiel Spalko, denn er verstand sich darauf, den Zorn anderer für seine Zwecke zu nutzen.
    »Meine Gefährten, meine Freunde.« In seinen Augen blitzte Überzeugungskraft. »Auf das Zusammentreffen von kummervoller Vergangenheit, verzweifelter Gegenwart und glorreicher Zukunft. Unser Sieg ist zum Greifen nahe!«
    Sie begannen zu essen, unterhielten sich dabei wie eine zwanglos zusammengewürfelte Tischgesellschaft über allgemeine, belanglose Themen. Und trotzdem machte sich eine erwartungsvolle Stimmung, die Veränderungen anzukündigen schien, in dem Raum breit. Ihre Blicke blieben auf ihre Teller oder die anderen gerichtet, als widerstrebe es ihnen, dem aufziehenden Sturm, der sie schon jetzt in Unruhe versetzte, ins Auge zu sehen. Dann war das Mahl schließlich beendet.
    »Es ist Zeit«, sagte der Scheich. Arsenow und Sina erhoben sich, standen vor ihm.
    Arsenow verneigte sich. »Wer aus Liebe zur materiellen Welt stirbt, stirbt als Heuchler. Wer aus Liebe zum Jenseits stirbt, stirbt als Asket. Aber wer aus Liebe zur Wahrheit stirbt, stirbt als Sufi.«
    Er wandte sich Sina zu, die das Paket aufriss, das sie aus Grosny mitgebracht hatten. Es enthielt drei Gewänder. Eines davon reichte sie Arsenow, der es anlegte. Das zweite legte sie selbst an. Das dritte hielt Arsenow in den Händen, als er sich erneut an den Scheich wandte.
    »Die cherkeh ist das Ehrenkleid der Derwische«, erklärte Arsenow ihm. »Sie symbolisiert das Wesen und die Attribute Gottes.«
    Sina sagte: »Das Gewand wird mit der Nadel der
    Frömmigkeit und dem Faden selbstlosen Gedenkens an Gott genäht.«
    Der Scheich neigte den Kopf und erwiderte: »La illaha ill Allah.« Es gibt keinen Gott außer Gott, der eins ist.
    Arsenow und Sina wiederholten: »La illaha ill Allah.«
    Dann bekleidete der tschetschenische Rebellenführer den Scheich mit der cherkeh . »Für die meisten Männer genügt es, nach der Scharia, dem islamischen Gesetz, gelebt und sich dem göttlichen Willen ergeben zu haben, um in Ehren zu sterben und ins Paradies einzugehen«, sagte er.
    »Aber es gibt andere unter uns, die das Göttliche schon hier und jetzt herbeisehnen, deren Liebe zu Allah sie wie uns drängt, den Weg der Innerlichkeit zu suchen. Wir sind Sufis.«
    Spalko, der das Derwischgewand auf seinen Schultern lasten fühlte, sagte feierlich: »O du Seele, die du in Frieden lebst, kehre zu deinem Herrn zurück – mit Freuden, die in ihm und in dir sein werden. Reihe du dich ein unter meine Diener. Gehe ein in mein Paradies.«
    Arsenow, den dieses Zitat aus dem Koran rührte, ergriff Sinas Hand und kniete mit ihr vor dem Scheich nieder. In drei Jahrhunderte alter Wechselrede legten sie einen feierlichen Treueschwur ab. Spalko holte ein Messer und übergab es ihnen. Beide brachten sich einen Schnitt am Handgelenk bei und boten ihm ihr Blut in einem Stielglas dar. Dadurch wurden sie murids , Jünger des Scheichs, durch Wort und Tat an ihn gebunden.
    Dann, obwohl das für Arsenow wegen seiner Schussverletzung schmerzhaft war, saßen sie einander mit untergeschlagenen Beinen gegenüber und vollzogen nach Art der Naqschibandi-Sufis die sikr , die ekstatische Vereinigung mit Gott. Jeder legte die rechte Hand auf den linken Oberschenkel, umfasste das rechte Handgelenk mit der linken Hand. Arsenow bewegte Hals und Kopf halbkreisförmig nach rechts, und Sina und Spalko blieben genau im Takt seiner sanften, fast sinnlichen Beschwörung: »Bewahre mich, o Gott, vor dem bösen Blick aus Neid und Missgunst, der auf deine reichen Gaben fällt.« Hals und Kopf schwangen nach links. »Bewahre mich davor, o Gott, in die Hände verspielter Kinder der Erde zu fallen, damit sie mich nicht für ihre Spiele benützen; sie könnten mit mir spielen und mich schließlich zerbrechen, wie’s Kinder mit ihren Spielsachen tun.«
    Von einer Seite zur anderen und wieder zurück. »Bewahre mich, o Gott, vor jeglicher Verletzung, die von der Bitterkeit meiner Feinde und der Unwissenheit meiner liebevollen Freunde kommt.«
    So riefen sie im Sprechchor

Weitere Kostenlose Bücher