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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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wiederkehrende Albtraum pulsierte noch einige Zeit bösartig in seinem Kopf. Dann ließ er die Finger behutsam, fast ehrfürchtig über seine straffen Bauch- und Brustmuskeln nach oben gleiten, bis sie den kleinen Buddha aus Jade erreichten, den er an einer dünnen Goldkette um den Hals trug. Chan legte ihn niemals ab, nicht einmal nachts. Natürlich war er da; er war immer da. Es war ein Talisman, obwohl Chan sich einzureden versuchte, er glaube nicht an Talismane.
    Mit einem angewiderten kleinen Laut stand er auf, tappte barfuß ins Bad und ließ sich kaltes Wasser über den Kopf laufen. Er machte Licht und blinzelte einen Augenblick in der jähen Helligkeit. Dann brachte er seinen Kopf dicht an den Spiegel heran und studierte sein Spiegelbild, als sähe er sich zum ersten Mal. Er grunzte, erleichterte sich, ging ins Zimmer zurück und knipste die Nachttischlampe an, um auf der Bettkante sitzend erneut das spärliche Dossier zu lesen, das Spalko ihm gegeben hatte. Nichts darin lieferte den geringsten Hinweis darauf, dass David Webb die Fähigkeiten besaß, die er Chan gegenüber demonstriert hatte. Er berührte das blauschwarze Mal an seiner Kehle, dachte an das Netz, das Webb aus Ranken geflochten und so geschickt ausgespannt hatte. Dann zerriss er das einzelne Blatt Papier, aus dem das Dossier bestand. Es war wertlos, sogar schädlich, denn es hatte ihn dazu verleitet, die Zielperson zu unterschätzen. Und eine weitere Schlussfolgerung drängte sich ebenso auf: Spalko hatte ihm Informationen gegeben, die unvollständig oder falsch waren.
    Chan hatte den Verdacht, Spalko wisse genau, wer
    und was David Webb war. Er musste herausbekommen, ob Spalko irgendein Projekt laufen hatte, das Webb betraf. In Bezug auf David Webb verfolgte er eigene Pläne und war entschlossen, sie von niemandem – nicht einmal von Stepan Spalko – durchkreuzen zu lassen.
    Er knipste seufzend die Lampe aus und ließ sich ins Bett zurücksinken, aber sein Verstand war nicht auf Schlaf eingestellt. Sein ganzer Körper schien von Spekulationen zu summen. Vor den Verhandlungen mit Spalko wegen des letzten Auftrags hatte er nicht einmal geahnt, dass David Webb überhaupt existierte. Chan bezweifelte, dass er den Auftrag angenommen hätte, wenn Spalko ihn nicht mit Webb geködert hätte. Er musste gewusst haben, dass Chan die Idee, Webb aufzuspüren, unwiderstehlich finden würde. Seit einiger Zeit fühlte Chan sich unbehaglich, wenn er für Spalko arbeitete. Spalko schien mehr und mehr zu glauben, er könne beliebig über ihn verfügen, und wurde zusehends größenwahnsinnig.
    Im kambodschanischen Dschungel, in dem er sich als Kind und Jugendlicher hatte durchschlagen müssen, hatte er mehr als einmal mit Größenwahnsinn zu tun gehabt. Das schwülheiße Klima, das ständige Kriegschaos und der unsichere Alltag trugen vereint dazu bei, die Menschen an den Rand des Wahnsinns zu treiben. In dieser lebensfeindlichen Umwelt überlebten nur die Starken; jedermann wurde auf irgendeine grundlegende Weise verändert.
    Im Bett liegend tastete Chan die Narben auf seinem Körper ab. Das war eine Art Ritual, vielleicht ein Aberglaube, ein Mittel, um vor Schaden sicher zu sein – nicht vor Gewalt, wie sie Erwachsene gegeneinander einsetzten, sondern vor dem kriechenden, namenlosen Entsetzen, das ein Kind mitten in der Nacht befällt. Kinder, die aus solchen Albträumen aufschrecken, laufen zu ihren Eltern, schlüpfen in die behagliche Wärme ihres Betts und sind bald wieder eingeschlafen. Aber Chan hatte keine Eltern gehabt, die ihn hätten trösten können. Er hatte sich im Gegenteil ständig aus den Krallen geistig minderbemittelter Erwachsener befreien müssen, die ihn nur als Quelle für Geld oder Sex sahen. Das Dasein als Sklave war viele Jahre lang sein Los gewesen – bei Asiaten ebenso wie bei Weißen, denen zu begegnen er das Unglück gehabt hatte. Er gehörte zu keiner der beiden Welten, dessen war er sich bewusst. Er war ein Mischling und als solcher verachtet, geschmäht, beschimpft, geschlagen, missbraucht und auf jede für menschliche Wesen nur denkbare Weise erniedrigt worden.
    Und trotzdem hatte er durchgehalten. Anfangs hatte er nur das Ziel gehabt, von einem Tag zum nächsten zu überleben. Aber er hatte aus bitterer Erfahrung gelernt, dass Flucht allein nicht genügte, weil die Sklavenhalter einen verfolgten, um einen schwer zu bestrafen. Das hatte ihn zweimal fast das Leben gekostet. Endlich begriff er, dass er mehr tun musste, wenn er

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