Das Bourne-Vermächtnis
Platz, Mr. Webb … oder Bourne … oder wie nennen Sie sich heute …«
Bourne starrte ihn an. »Sie sind bei der Agency.«
»Durchaus nicht. Ich arbeite selbstständig. Falls Alex mich nicht erwähnt hat, bezweifle ich, dass überhaupt jemand in der Agency weiß, dass ich existiere.« Der Schneider grinste zufrieden. »Deswegen ist Alex ja zu mir gekommen.«
Bourne nickte. »Darüber wüsste ich gern mehr.«
»Oh, das glaube ich.« Fine griff nach dem Hörer des Telefons auf dem Schreibtisch. »Aber wenn Ihre Leute Sie erst mal in den Klauen haben, sind Sie so damit beschäftigt, ihre Fragen zu beantworten, dass Ihnen alles andere egal ist.«
»Lassen Sie das!«, sagte Bourne scharf.
Fines Hand mit dem Telefonhörer machte mitten in
der Luft Halt. »Sagen Sie mir einen Grund dafür.«
»Ich habe Alex nicht ermordet. Ich versuche rauszukriegen, wer der Täter war.«
»Doch, Sie haben ihn umgelegt. In der Zeitung steht, dass Sie zum Zeitpunkt seiner Ermordung in seinem Haus waren. Haben Sie dort jemand anders gesehen?«
»Nein, aber Mo Panov und Alex waren bereits tot, als ich angekommen bin.«
»Bockmist. Ich frage mich nur, warum Sie ihn ermordet haben.« Fine kniff die Augen zusammen. »Vermutlich wegen Dr. Schiffer.«
»Ich kenne keinen Dr. Schiffer.«
Der Schneider lachte humorlos. »Noch mehr Bockmist. Und Sie wissen vermutlich auch nicht, was die DARPA ist?«
»Natürlich kenne ich die«, sagte Bourne. »Die Abkürzung bedeutet Defense Advanced Research Projects Agency. Ist das die Forschungseinrichtung, bei der Dr. Schiffer arbeitet?«
Fine schüttelte angewidert den Kopf und murmelte:
»Jetzt reicht’s.« Als er sekundenlang die Augen abwandte, um eine Nummer einzutippen, stürzte Bourne sich auf ihn.
Der CIA-Direktor saß in seinem geräumigen Eckbüro und telefonierte mit Jamie Hull. Durchs Fenster fiel strahlender Sonnenschein und ließ die Farben des Orientteppichs prächtig aufleuchten, doch das herrliche Farbenspiel blieb ohne Wirkung auf den Direktor. Seine Stimmung war düster. Er betrachtete trübselig die gerahmten Fotos, die ihn mit Präsidenten im Oval Office zeigten, mit ausländischen Spitzenpolitikern in Paris, Berlin und Dakar, Entertainern in L.A. und Las Vegas, Erweckungspredigern in Atlanta und Salt Lake City, absurderweise sogar mit dem Dalai Lama mit seinem ewigen Lächeln und seiner safrangelben Robe bei einem Besuch in New York. Diese Bilder holten ihn jedoch keineswegs aus seiner Depression heraus, sondern ließen ihn im Gegenteil seine Jahre spüren, als seien sie ein mehrschichtiges Kettenhemd, das ihn niederdrückte.
»Das Ganze ist ein gottverdammter Albtraum, Sir«, berichtete Hull aus dem fernen Reykjavik. »Zum Ersten ist die Abstimmung von Sicherheitsmaßnahmen mit Russen und Arabern eine Sisyphusarbeit. Ich meine, die halbe Zeit weiß ich nicht, wovon zum Teufel sie reden, und in der anderen Hälfte der Zeit habe ich meine Zweifel, ob die Dolmetscher – unsere und ihre – genau wiedergeben, was die anderen sagen.«
»Sie hätten in der Schule als Wahlfach Fremdsprachen belegen sollen, Jamie. Arbeiten Sie einfach weiter. Wenn Sie wollen, schicke ich Ihnen andere Dolmetscher.«
»Tatsächlich? Und wo wollen Sie die herkriegen? Wir haben unsere Arabisten alle entlassen, stimmt’s?«
Der CIA-Direktor seufzte. Das war allerdings ein
Problem. Fast alle Agenten, die Arabisch konnten, waren als Sympathisanten der islamischen Sache eingestuft worden, weil sie immer heftig mit den Falken debattierten und zu erklären versuchten, wie friedliebend die meisten Islamisten in Wirklichkeit waren. Wie sollte man das den Israelis begreiflich machen? »Übermorgen bekommen wir vom Center for the Study of Intelligence einen ganzen Jahrgang neuer Leute. Ich setze sofort ein paar zu Ihnen in Marsch.«
»Das ist noch nicht alles, Sir.«
Der Direktor machte ein finsteres Gesicht, weil ihn ärgerte dass er im Tonfall des anderen keine Spur von Dankbarkeit hörte. »Was noch?«, knurrte er. Du könntest alle Fotos abhängen, dachte er im Stillen. Würde das die trübselige Atmosphäre im Raum verbessern?
»Ich will nicht jammern, Sir, aber ich tue mein gottverdammt Bestes, um in einem Land, das keine speziellen Bindungen an die Vereinigten Staaten hat, vernünftige Sicherheitsmaßnahmen durchzusetzen. Diese Leute bekommen keine Wirtschaftshilfe von uns, deshalb sind sie uns nicht verpflichtet. Ich spreche vom Präsidenten, und was tun sie? Sie starren mich ausdruckslos an.
Weitere Kostenlose Bücher