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Das Bourne-Vermächtnis

Das Bourne-Vermächtnis

Titel: Das Bourne-Vermächtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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das sie nur selten zu blicken wagte, einen kalten Schauder. Vielleicht spürte sie eine Vorahnung der schrecklichen Kraft, die in drei Tagen in Nairobi freigesetzt werden würde. Aber mit der Hellsichtigkeit, die Liebenden manchmal vergönnt ist, begriff sie, dass ihn hauptsächlich die Angst interessierte, die diese Todesart – um welche es sich auch handeln mochte – hervorrufen würde. Er wollte Angst einsetzen, das war klar.
    Angst als Schwert der Rache, mit dem die Tschetschenen alles zurückgewinnen würden, was sie in Jahrhunderten der Demütigung, Vertreibung und des Mordens verloren hatten.
    Mit Angst stand Sina seit frühester Kindheit auf vertrautem Fuß. Ihr Vater, schwach und an der Verzweiflung sterbend, die wie Mehltau auf Tschetschenien lag, hatte einst seine Familie versorgt, wie es jeder Tschetschene tat, aber jetzt durfte er sich nicht einmal auf der Straße zeigen, weil die Russen ihn sonst verhaftet hätten.
    Ihre Mutter, einst eine schöne junge Frau, war in ihren letzten Jahren ein schmalbrüstiges altes Weib mit schütterem Haar, schlechten Augen und Gedächtnislücken gewesen.
    Kam Sina nach einem langen Tag, den sie damit verbracht hatte, etwas Essbares aufzutreiben, nach Hause, musste sie drei Kilometer zur nächsten öffentlichen Wasserstelle gehen, ein bis zwei Stunden anstehen und anschließend den vollen Eimer nach Hause tragen und fünf Treppen hoch in ihr schmuddeliges Zimmer hinaufschleppen.
    Dieses Wasser! Manchmal schreckte sie noch heute
    würgend hoch, weil sie den grässlichen Terpentingeschmack zu schmecken glaubte.
    Eines Abends hatte ihre Mutter sich hingesetzt und war nicht wieder aufgestanden. Sie war achtundzwanzig, sah aber wie sechzig aus. Von den ständig brennenden Ölfeuern war ihre Lunge voller Teer. Als Sinas kleiner Bruder über Durst klagte, hatte die alte Frau zu ihr aufgesehen und gesagt: »Ich kann nicht aufstehen. Nicht mal, um ihm zu trinken zu geben. Ich kann nicht mehr
    …«
    Sina verdrehte den Rumpf, machte einen langen Arm und knipste die Lampe aus. Zuvor unsichtbarer blasser Mondschein füllte den Fensterrahmen. Wo ihr Oberkörper sich zur schmalen Taille hin verengte, beleuchtete ein schräg übers Bett fallender Streifen Mondlicht eine Brustwarze. Darunter, unter der hohen Wölbung, lag Hassans Hand. Außerhalb dieses Streifens war das Zimmer dunkel.
    Sie lag lange mit offenen Augen da, horchte auf Hassans regelmäßiges Atmen und wartete darauf, dass der Schlaf auch zu ihr kam. Wer kennt das Gewicht von Angst besser als wir Tschetschenen?, fragte sie sich. Auf Hassans Gesicht stand die ganze traurige Geschichte seines Volkes eingegraben. Was kümmerte ihn Tod, was kümmerte ihn Verderben, wenn er nur Rache für Tschetschenien nehmen konnte! Und mit vor Verzweiflung schwerem Herzen wusste Sina, dass die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit geweckt, auf ihre Heimat konzentriert werden musste. Das ließ sich heutzutage nur mit einer Methode erreichen. Sie wusste, dass Hassan Recht hatte: Der Tod musste auf bis dahin unvorstellbare Weise kommen, aber welchen Preis sie alle dafür würden zahlen müssen, konnte sie sich in keiner Weise vorstellen.
    Kapitel acht
    Jacques Robbinet liebte es, die Vormittage mit seiner Frau zu verbringen, Café au lait zu trinken, die Zeitungen zu lesen und mit ihr über Wirtschaftsfragen, ihre Kinder und die Lebensverhältnisse ihrer Freunde zu reden. Über seine Arbeit sprach er nie.
    Er machte es sich strikt zur Gewohnheit, nie vor Mittag ins Ministerium zu gehen. Dort verbrachte er ungefähr eine Stunde damit, Akten, Memos aus Abteilungen des Hauses und weitere Schriftstücke durchzuarbeiten und seine Kommentare als E-Mails zu verschicken. Anrufe nahm seine Assistentin entgegen, die jeden notierte und ihm nur Mitteilungen vorlegte, die sie für dringend hielt. Diese und alle sonstigen Arbeiten für Robbinet erledigte sie vorbildlich und zuverlässig. Er hatte sie selbst ausgebildet, und ihre Instinkte waren untrüglich.
    Ihr größter Vorzug war, dass sie absolut diskret war.
    Daher konnte Robbinet ihr sagen, wo er mit seiner Geliebten zu Mittag essen würde – sei’s in einem ruhigen Bistro oder in ihrer Wohnung im vierten Arrondissement. Das war wichtig, denn Robbinet dehnte seine Mittagspausen selbst für französische Begriffe sehr lange aus.
    Er kam selten vor vier Uhr ins Büro zurück, blieb aber oft bis nach Mitternacht an seinem Schreibtisch und hielt Verbindung mit seinen Kollegen in Amerika. Auch wenn

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