Das Bourne-Vermächtnis
gewährte er Bourne doch eine dringend benötigte Erholungspause von den Schmerzen, die ihn in der ersten Stunde nach dem Start gequält hatten. Als er durchfroren und steif aufwachte, musste er wieder an den Steinbuddha um Chans Hals denken. Die kleine Statue schien ihn grinsend zu verspotten: ein Rätsel, das noch gelöst werden musste. Er wusste, dass solche Kleinstatuen ein Massenartikel waren – allein in dem Laden, in dem Dao und er einen für Joshua ausgesucht hatten, hatte es über ein Dutzend gegeben! Und er wusste, dass viele asiatische Buddhisten solche Talismane zum Schutz und als Glücksbringer trugen.
Vor seinem inneren Auge erschien wieder Chans wissender Gesichtsausdruck, so von Erwartung und Hass leuchtend, als er gesagt hatte: »Den kennst du, nicht wahr?« Und er hatte so gewaltsam hervorgestoßen: »Er gehört mir, Bourne. Hast du verstanden? Dieser Buddha gehört mir!« Chan war nicht Joshua Webb, das wusste Bourne jetzt. Chan war clever, aber auch grausam: ein Profikiller, der schon oft gemordet hatte. Er konnte nicht Bournes Sohn sein.
Trotz starker Querwinde vor Neufundland landete
Flug 113 von Rush Service halbwegs pünktlich auf dem Pariser Flughafen Charles de Gaulle. Bourne hätte den Frachtraum am liebsten gleich nach der Landung verlassen, aber er widerstand diesem Drang.
Um sie herum rollten, landeten und starteten weitere Maschinen. Stieg er jetzt aus, würde er exponiert auf einer Fläche stehen, die auch das Flughafenpersonal im Regelfall nicht betreten durfte. Also wartete er geduldig, während das Flugzeug von der Landebahn rollte.
Als es langsamer wurde, wusste er, dass er jetzt handeln musste. Solange die Maschine mit noch arbeitenden Triebwerken rollte, würde sich ihr niemand vom Bodenpersonal nähern. Er öffnete die Frachtraumtür und sprang auf den Asphalt hinunter, als eben ein Tankwagen vorbeifuhr. Bourne sprang hinten auf. Während er sich dort festklammerte, wurde er von heftiger Übelkeit erfasst, weil starke Kerosindämpfe die Erinnerung an Chans Überraschungsangriff wachriefen. Er sprang möglichst rasch wieder ab und gelangte auf Umwegen ins Terminal.
Drinnen prallte er mit einem Arbeiter an der Laderampe zusammen, entschuldigte sich in fließendem Französisch und hielt sich mit einer Hand den Kopf, um anzudeuten, wie schlimm seine Migräne sei. Hinter der nächsten Biegung des Korridors benützte er den Dienstausweis, den er dem Arbeiter gerade geklaut hatte, um durch zwei Türen ins eigentliche Terminal zu gelangen, das zu seiner Verblüffung nur ein umgebauter Hangar war. Dort waren verdammt wenige Leute unterwegs, aber immerhin hatte er erfolgreich die Pass- und Zollkontrollen umgangen.
Bei erster Gelegenheit warf er den geklauten Dienstausweis in einen Abfallbehälter. Er wollte nicht mit ihm erwischt werden, wenn der Arbeiter ihn als verloren meldete. Unter einer großen Wanduhr stehend stellte er seine Armbanduhr. In Paris war es wenige Minuten nach sechs Uhr morgens. Er rief Robbinet an und erklärte ihm, wo er war.
Der Minister wirkte leicht verwirrt. »Bist du mit einem Charterflugzeug angekommen, Jason?«
»Nein, mit einer Frachtmaschine.«
» Bon , das erklärt, warum du im alten Terminal drei bist. Die Maschine muss von Orly aus umgeleitet worden sein«, sagte Robbinet. »Bleib einfach, wo du bist, mon ami . Ich hole dich sofort ab.« Er lachte halblaut. »Erst mal: Willkommen in Paris. Unheil und Verwirrung deinen Verfolgern!«
Bourne verschwand auf der Herrentoilette, um sich zu waschen. Aus dem Spiegel starrte ihn ein ausgezehrtes Gesicht mit gehetztem Blick und blutiger Kehle an – jemand, den er kaum wiedererkannte. Er ließ Wasser in seine hohlen Hände laufen und spülte damit Schmutz, Schweiß und die Reste des zuvor aufgetragenen Makeups ab. Mit einem feuchten Papierhandtuch säuberte er die dunklen Ränder des Schnitts quer über seiner Kehle.
Er wusste, dass er dort möglichst bald eine desinfizierende Salbe auftragen musste.
Seine Magennerven waren verkrampft, und obwohl er keinen Hunger hatte, wusste er, dass er Nahrung brauchte. In unregelmäßigen Abständen hatte er wieder den Geschmack von Kerosin im Mund und musste jedes Mal würgen, wobei seine Augen vor Anstrengung tränten. Um sich von diesem jammervollen Zustand abzulenken,
machte er in einer WC-Kabine fünf Minuten lang Stretching und anschließend fünf Minuten Gymnastik, um seine schmerzenden und verkrampften Muskeln zu lockern. Er ignorierte die Schmerzen, die
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