Das Bourne-Vermächtnis
Inspektor Savoy. »Ihr Ausweis ist an zwei Kontrollstellen registriert worden, als Sie ihn schon nicht mehr hatten. Hier.« Er legte dem Mann seinen am Overall zu tragenden Dienstausweis hin. Savoy war klein und litt darunter. Sein Gesicht wirkte so zerknittert wie sein dunkles Haar, das er ziemlich lang trug. Seine Lippen wirkten ständig wie geschürzt, als urteile er selbst in Ruhe über Schuld oder Unschuld. »Wir haben ihn in einem Abfallbehälter gefunden.«
»Danke, Inspektor.«
»Sie wissen, dass Sie eine Geldstrafe erwartet? Diese Sache kostet Sie einen Tageslohn.«
»Das ist unfair!«, protestierte der Arbeiter. »Das melde ich der Gewerkschaft. Die demonstriert für mich!«
Inspektor Savoy seufzte. Solche Drohungen war er
gewöhnt. Die Gewerkschaftler demonstrierten ständig für oder gegen irgendwas. »Können Sie mir sonst noch etwas über den Vorfall erzählen?« Als der Mann den Kopf schüttelte, ließ Savoy ihn gehen. Er starrte das Fax aus Amerika an. Unter Jason Bournes Foto war eine CIA-Telefonnummer angegeben. Der Inspektor klappte sein Tri-Band-Handy auf und tippte diese Kontaktnummer ein.
»Martin Lindros, Stellvertreter des Direktors.«
»Monsieur Lindros, hier ist Inspektor Savoy von der Sûreté. Wir haben Ihren Flüchtling gefunden.«
»Was?«
Auf Savoys unrasiertem Gesicht breitete sich ein langsames Lächeln aus. Da die Sûreté sonst immer am Tropf der CIA hing, war es ein Vergnügen, das auch den gekränkten Nationalstolz besänftigte, eine Umkehrung der gewohnten Situation zu erleben.
»Ganz recht. Jason Bourne ist heute gegen sechs Uhr Ortszeit auf dem Flughafen Charles de Gaulle angekommen.« Der Inspektor genoss das rasche Atemholen seines amerikanischen Gesprächspartners.
»Haben Sie ihn?«, fragte Lindros. »Befindet Bourne sich in Haft?«
»Leider nein.«
»Was soll das heißen? Wo ist er?«
»Das ist ein Rätsel.« Am anderen Ende herrschte so lange Schweigen, dass Savoy schließlich fragen musste:
»Monsieur Lindros, sind Sie noch da?«
»Ja, Inspektor. Ich sehe nur meine Aufzeichnungen durch.« Wieder eine Pause, die jedoch kürzer war. »Alex Conklin hatte einen geheimen Kontaktmann in französischen Regierungskreisen – einen gewissen Jacques Robbinet. Kennen Sie den?«
» Certainement , Monsieur Robbinet ist unser Kulturminister. Aber Sie wollen doch wohl nicht im Ernst behaupten, ein Mann in seiner Stellung könnte mit diesem Verrückten gemeinsame Sache machen?«
»Natürlich nicht«, sagte Lindros hastig. »Aber Bourne hat bereits Conklin ermordet. Ist er jetzt in Paris, könnte er es womöglich auf Monsieur Robbinet abgesehen haben.«
»Augenblick, bitte bleiben Sie dran.« Der Inspektor wusste bestimmt, dass er den Namen Jacques Robbinet heute schon einmal gehört oder gelesen hatte. Als er einem Mitarbeiter ein Zeichen machte, legte dieser ihm einen Ordner vor. Savoy blätterte rasch die Wortprotokolle der Befragungen durch, die alle möglichen Sicherheitsdienste an diesem Morgen auf dem Flughafen durchgeführt hatten. Tatsächlich entdeckte er dabei Robbinets Namen. Er meldete sich hastig wieder. »Monsieur
Lindros, wie ich eben sehe, war Monsieur Robbinet heute Morgen hier.«
»Am Flughafen?«
»Ja, und nicht nur das. Er ist in demselben Terminal befragt worden, in dem Bourne war. Und er war sichtlich besorgt, als er erfahren hat, wer der Gesuchte ist. Er hat die Polizeibeamten sogar gebeten, ihn zu seinem Wagen zu begleiten.«
»Das erhärtet meine Theorie.« Eine Kombination aus Aufregung und Sorge ließ Lindros’ Stimme leicht atemlos klingen. »Inspektor, Sie müssen Robbinet finden –
und das so schnell wie möglich!«
»Kein Problem«, meinte Inspektor Savoy. »Ich rufe einfach das Ministerium an.«
»Genau das tun Sie nicht «, erklärte Lindros ihm. »Unser Vorgehen muss absolut geheim bleiben.«
»Aber Bourne kann doch nicht …«
»Inspektor, im Lauf dieser Ermittlungen habe ich gelernt, niemals ›Bourne kann nicht‹ zu sagen, weil ich weiß, dass er’s kann. Er ist ein extrem cleverer und gefährlicher Berufskiller. Wer sich in seine Nähe begibt, schwebt in Lebensgefahr, kapiert?«
» Pardon , Monsieur?«
Lindros merkte, dass er langsamer sprechen musste.
»Wie Sie Robbinet aufspüren, ist mir egal, solange Sie unauffällig vorgehen. Schaffen Sie’s, den Minister zu überraschen, haben Sie gute Chancen, gleichzeitig auch Bourne zu überraschen.«
»D’accord.« Savoy stand auf, sah sich nach seinem Trenchcoat
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