Das Bourne-Vermächtnis
gerichtet.
Bourne konnte jetzt Einzelheiten sehen, die der
Schnappschuss nicht hatte erkennen lassen. Die Farbe ihrer Augen, die eleganten Linien von Nase und Lippen, die Weißheit ihrer ebenmäßigen Zähne. Aus ihrem Gesicht sprachen Willensstärke und Einfühlungsvermögen.
»Und Sie müssen Jason Bourne sein.« Die grauen Augen musterten ihn kühl.
»Mein herzliches Beileid wegen Alex«, sagte Bourne.
»Ich danke Ihnen. Die Nachricht war ein Schock für alle, die ihn kannten.« Sie trat einen Schritt zur Seite.
»Bitte treten Sie ein.«
Während sie die Tür hinter ihnen schloss, sah Bourne sich im Wohnzimmer um. Mlle. Dutronc wohnte zwar
in einem hässlichen Neubauviertel, aber ihr Apartment war ganz anders. Im Gegensatz zu den meisten Menschen ihres Alters umgab sie sich nicht weiterhin mit jahrzehntealten Möbeln und Erinnerungen an die Vergangenheit. Ihre Einrichtung war elegant modern und zugleich bequem. Im Raum verteilte Sessel, identische Zweiersofas auf beiden Seiten des offenen Kamins, dezent gemusterte bodenlange Vorhänge. Bestimmt ein Ort, den man nicht gern verlässt, überlegte er sich.
»Wie ich höre, haben Sie einen langen Flug hinter sich«, sagte sie zu Bourne. »Sie sind sicher ausgehungert.«
Sie erwähnte seine unordentliche Kleidung mit keinem Wort, wofür er ihr dankbar war. Bourne musste sich im Esszimmer an den Tisch setzen und bekam einen Sandwichteller, ein Glas Weißwein und Mineralwasser. Als er fertig war, setzte sie sich ihm gegenüber und legte ihre gefalteten Hände auf die Tischplatte.
Bourne sah jetzt, dass sie geweint hatte.
»War er sofort tot?«, fragte Mlle. Dutronc. »Wissen Sie, ich habe mich gefragt, ob er leiden musste.«
»Nein«, antwortete Bourne wahrheitsgemäß. »Das
glaube ich nicht.«
»Das ist immerhin etwas.« Ihr Gesichtsausdruck wirkte zutiefst erleichtert. Als Mlle. Dutronc sich zurücklehnte, erkannte Bourne, wie verkrampft sie dagesessen hatte. »Danke, Jason.« Sie sah wieder auf. Die ausdrucksvollen grauen Augen erwiderten seinen Blick, und das Gesicht spiegelte ihre Emotionen wider. »Darf ich Sie Jason nennen?«
»Natürlich«, sagte er.
»Sie haben Alex gut gekannt, nicht wahr?«
»So gut, wie man Alex Conklin überhaupt nur kennen konnte.«
Ihr Blick streifte Robbinet nur, aber das genügte schon.
»Ich muss ein paar Leute anrufen.« Der Minister hatte bereits sein Handy aus der Tasche geholt. »Ihr seid mir sicher nicht böse, wenn ich euch kurz allein lasse.«
Sie sah Robbinet nach, bis er ihm Wohnzimmer verschwunden war. Dann wandte sie sich wieder an Bourne.
»Jason, was Sie vorhin gesagt haben, waren die Worte eines wahren Freundes. Selbst wenn Alex mir nie von Ihnen erzählt hätte, würde ich das Gleiche sagen.«
»Alex hat mit Ihnen über mich gesprochen?« Bourne schüttelte den Kopf. »Mit Zivilisten hat Alex nie über seine Arbeit gesprochen.«
Wieder dieses Lächeln; diesmal war die Ironie jedoch unverkennbar. »Aber ich bin keine ›Zivilistin‹, wie Sie’s ausdrücken.« Sie hielt plötzlich eine Packung Zigaretten in der Hand. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«
»Durchaus nicht.«
»Viele Amerikaner sind militante Nichtraucher. Bei euch ist das zu einem regelrechten Wahn geworden, nicht wahr?«
Sie erwartete keine Antwort, und Bourne gab auch
keine. Er beobachtete, wie sie sich eine Zigarette anzündete, den Rauch tief inhalierte und ihn dann langsam, genussvoll ausstieß. »Nein, ich bin ganz entschieden keine ›Zivilistin‹.« Bläulicher Zigarettenqualm umwaberte sie. »Ich arbeite für die Sûreté Nationale.«
Bourne blieb unbeweglich sitzen. Unter dem Tisch
umklammerte seine Rechte den Griff der Keramikpistole.
Als könne sie seine Gedanken lesen, schüttelte Mlle.
Dutronc den Kopf. »Kein Grund zur Aufregung, Jason.
Jacques hat Sie nicht in eine Falle gelockt. Sie sind hier bei Freunden.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte er heiser. »Wenn Sie bei der Sûreté sind, hätte Alex Ihnen erst recht nichts über seine Arbeit erzählt, um Sie nicht in Loyalitätskonflikte zu stürzen.«
»Stimmt genau. Und so hat er’s über viele Jahre hinweg gehalten.« Mlle. Dutronc inhalierte erneut, stieß den Rauch durch Mund und Nase aus. Mit der Angewohnheit, dabei leicht den Kopf zu heben, erinnerte sie an Marlene Dietrich. »Bis dann vor kurzem irgendwas passiert ist. Ich weiß nicht, was – er wollte es mir nicht sagen, obwohl ich ihn darum gebeten habe.«
Sie betrachtete ihn einige Sekunden
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